Moderne Sportevents sind die wichtigsten Medienereignisse des 21. Jahrhunderts. Länder wie Katar, aber auch Ägypten und Marokko haben immer wieder versucht, solche Ereignisse zur Anerkennung ihrer weltpolitischen Bedeutung einzusetzen. Jakob Krais über die Rolle des Sports in der arabischen Welt.
Die Handball-Weltmeisterschaft in Katar ist zu Ende. Für die Mannschaft des Gastgebers hat es nicht zum ganz großen Wurf gereicht – im Finale gegen Frankreich war die Erfolgsgeschichte schließlich zu Ende. Wichtiger noch als das starke Abschneiden des eigenen Teams war für Katar ohnehin die Ausrichterrolle: Mit den Titelkämpfen in den hypermodernen Hallen der ebenso hypermodernen Retortensiedlung Lusail und der Hauptstadt Doha wollte die Golfmonarchie sich wieder einmal der Welt von ihrer besten Seite zeigen. Nach den Asienspielen 2006 und der Fußball-Asienmeisterschaft sowie den Panarabischen Spielen im Jahr 2011 war die diesjährige Handball-WM ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu dem alles überstrahlenden Sportereignis: der Fußball-Weltmeisterschaft 2022.
Dabei sein: Der „WM-Krieg“
„Dabei sein ist alles“ – dieses Motto der Olympischen Spiele soll zunächst einmal heißen, dass im Sport nicht immer nur der Sieg zählt. Aus der Perspektive besonders nicht westlicher Länder ist die Teilnahme häufig schon der erste Sieg. Angesichts immer noch verbreiteter Vorstellungen von westlicher Überlegenheit und nicht eben abnehmenden antimuslimischen Ressentiments scheinen gerade arabische Staaten beweisen zu wollen, dass sie dabei sind, das heißt, dass sie dazugehören zur modernen Welt.
Sind Qualifikationsspiele für die so genannten großen Fußballnationen wie Deutschland, Italien oder Spanien oft keine besonders spannende, ja allzu häufig recht zähe Pflichtaufgabe, begleiten sie anderswo schon mal Züge einer Massenhysterie: Vom harb al-mundial, dem „WM-Krieg“, war in den arabischen Medien die Rede, als sich Ende 2009 Algerien und Ägypten in einem Entscheidungsspiel um das letzte Ticket zur Fußball-WM im folgenden Jahr gegenüberstanden. Es ging hier auch darum, welche Nationalmannschaft eine ganze Region beim Weltturnier repräsentieren durfte: Die Algerier, die das von heftigen Ausschreitungen begleitete Spiel letztlich gewannen, stellten in Südafrika das einzige arabische Team – und schieden ohne Sieg bereits nach der Vorrunde aus.
Gewinnen: Medaillen für die Fortschrittlichkeit
Die verpasste Qualifikation schmerzte die Ägypter umso mehr, als sie damals nicht nur amtierende Afrikameister waren, sondern auch lange als Vorreiter sportlicher Erfolge in der arabischen Welt galten. Schon 1920 in Antwerpen hatten ägyptische Athleten an Olympischen Spielen teilgenommen. Bei den folgenden Spielen in Paris – nur zwei Jahre nach der offiziellen Unabhängigkeit von Großbritannien – riefen gerade die Fußballer mit ihren Siegen über europäische Teams Begeisterungsstürme am Nil hervor. Zu Stars wurden aber auch die Ringer und Gewichtheber, die damals die ersten Goldmedaillen für Ägypten holten.
Die Presse in Kairo und Alexandria feierte die sportlichen Erfolge als Beweis für die Fortschrittlichkeit Ägyptens, das sich als modernstes Land Afrikas und des Nahen Ostens schon fast auf Augenhöhe mit den westlichen Mächten befinde. Um die Zugehörigkeit zum erlauchten Kreis der modernen Nationen zu untermauern, kam unter ägyptischen Sportfunktionären schon bald die Idee auf, nicht mehr nur an internationalen Wettbewerben teilzunehmen, sondern selber welche auszurichten: Alexandria wurde auserkoren, die ersten Panafrikanischen Spiele zu veranstalten. Ursprünglich für 1927 angesetzt, wurden die Spiele allerdings erst um zwei Jahre verschoben, dann ganz abgesagt – die Kolonialmächte, die damals praktisch den gesamten Kontinent kontrollierten, hatten kein Interesse an so einem medienwirksamen panafrikanischen Event und verboten ihren Untertanen die Teilnahme.
Organisieren: Im Rampenlicht
Die ägyptische Mittelmeermetropole musste noch ein Vierteljahrhundert warten, um seine Eignung als Austragungsort unter Beweis zu stellen: Erst 1953 fanden in Alexandria die ersten Panarabischen Spiele statt – die erste Ausgabe der Panafrikanischen Spiele wurde noch einmal zwölf Jahre später in der kongolesischen Hauptstadt Brazzaville abgehalten. Eine erfolgreiche Olympiabewerbung aus der arabischen Welt gab es bislang noch nicht. Zuletzt scheiterte Doha mit dem Versuch für 2020.
„Der Sport ist eine Möglichkeit, in die Liga der großen, angesehenen und mächtigen Länder aufgenommen zu werden“, ordnet der Sportphilosoph Gunter Gebauer die Ambitionen Katars im Gespräch mit der taz ein. Für ein Land wie das kleine Emirat mit seinen gerade einmal gut 2 Millionen Einwohnern – von denen nur etwa 300 000 Einheimische sind – ist die Rolle als Veranstalter moderner Sportevents ohnehin die aussichtsreichste Möglichkeit, bei solchen Großereignissen im Rampenlicht zu stehen. Die Fußball-Nationalmannschaft des WM-Gastgebers von 2022 hat sich bisher jedenfalls noch nie für eine Endrunde qualifizieren können. Und auch bei der Asienmeisterschaft 2015 schied sie nach drei Niederlagen sang- und klanglos aus.
Eine künstliche Welt? Katars Hauptstadt Doha
Dazu gehören: Die „Liga der großen Länder“
Die Ausrichtung internationaler Sportveranstaltungen fügt sich dagegen gut in die selbstbewusste Außenpolitik ein, die Katar seit einiger Zeit verfolgt. Dabei geht es dem jungen Herrscher Scheich Tamim bin Hamad – der sein Land übrigens auch persönlich im Internationalen Olympischen Komitee vertritt – wie schon seinem Vater um die Wahrnehmung des Emirats als regionaler Player mit Gewicht.
Sich dafür auf solche Events zu stützen, hat eine lange Geschichte, wie der Historiker Jürgen Osterhammel ausführt: „Hinter dem Drama von Olympiabewerbungen, die nur vordergründig solche einzelner Städte sind, verbergen sich oft jahrzehntelange Bemühungen um Anerkennung auf jener Weltbühne, die der Sport bereits zu Zeiten der Berliner Olympiade von 1936 war.“
Als erstes nicht westliches Land erlangte nicht zufällig das ökonomisch erfolgreiche Japan diese Anerkennung, als Tokio den Zuschlag für die Sommerspiele 1964 erhielt. In jüngerer Zeit wurden die neuen Wirtschaftsmächte China und Brasilien – mit Rio de Janeiro finden die Spiele kommendes Jahr erstmals in Südamerika statt – durch Olympia in die „Liga der großen Länder“ aufgenommen.
Aushandeln: Machtverschiebungen in der arabischen Welt
In der arabischen Welt wird momentan neu ausgehandelt, wer die großen Länder sind. Die Umbrüche des 21. Jahrhunderts haben viele früher einflussreiche Staaten ins Wanken gebracht – selbst die einstige regionale Vormacht Ägypten scheint seit spätestens 2011 in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Neben Katar präsentiert sich derzeit besonders Marokko als modernes, erfolgreiches und vor allem stabiles arabisches Land.
Breitensport: Straßenfußballer in Marokko
Schon um die Afrika versprochene Fußball-WM 2010 hatte das Königreich sich – ebenso wie Ägypten – beworben, war aber Südafrika unterlegen. In den vergangenen beiden Jahren hat Marokko zudem die Klub-WM ausgetragen, was Joseph Blatter, der Präsident des Weltfußballverbandes, bereits als Zeichen für eine erneute WM-Bewerbung für 2026 wertete. Auf dem marokkanischen Weg zur Weltmeisterschaft hätte außerdem der laufende Afrika-Cup im Land stattfinden sollen. Da die Organisatoren jedoch kein solches Großereignis während der Ebolaepidemie in Westafrika abhalten wollten, wurde er schließlich verlegt.
Sich abgrenzen: Das europäischste Land Afrikas
Hier zeigt sich eine gewisse Ironie bei der Ausrichtung großer Sportveranstaltungen: Die Organisation der Afrikameisterschaft dient für Marokko – das unter Hassan II. sogar einmal einen Aufnahmeantrag für die Europäische Gemeinschaft stellte – gerade dazu, sich vom Rest des Kontinents abzugrenzen und sich als modernstes Land der Region an Europa und den Westen anzunähern. Ein eventuelles Ebolarisiko wiegt eben deshalb so schwer: Die Auswirkungen auf das europäische Bild vom sicheren und fortschrittlichen Marokko und damit auf die Einnahmequelle Tourismus könnten katastrophal sein. Die innerafrikanische Solidarität fällt demgegenüber kaum ins Gewicht. Die harsche Reaktion des Afrikanischen Fußballverbands (CAF) auf die marokkanischen Bedenken kam daher nicht überraschend: Die CAF lehnte eine Verschiebung kategorisch ab, entzog Marokko das Turnier und schloss die marokkanische Mannschaft von der Teilnahme aus.
Ebenso ging es schon in den 1920er Jahren den ägyptischen Initiatoren mit den geplanten Spielen von Alexandria nicht so sehr um die panafrikanische Einheit, wie die Kolonialisten befürchteten. Auch damals wollte Ägypten sich vielmehr als „europäischstes“ Land Afrikas von seinen Nachbarn abheben.
Im Fall Katars kommen weitere Widersprüche dazu: Während Fußball in Nordafrika ein beliebter Breiten- und Zuschauersport ist, verirrt sich in Katar unter normalen Umständen kaum jemand zum Handball. Die Hallen und Stadien dort werden nicht für die Fans vor Ort gebaut, sondern eher als Kulisse für das westliche Fernsehpublikum. „Der moderne Sport, insbesondere der Handball, hat gar keinen Ort in Katar, weil er die Bewohner nicht interessiert“, führt Gebauer aus: „Da werden ein künstliches Publikum und eine künstliche Sportbegeisterung in einer künstlichen Sportwelt geschaffen.“ Dabei zu sein in der modernen Sportwelt, dazuzugehören zur Reihe der modernen Mächte, ist alles.