27.05.2014
Bürger, Journalist? Erfahrungen eines ägyptischen Fotografen
Als Fotograf erlebte Roger Anis Wut, Enthusiasmus und Alltag der Umstürze in Ägypten hautnah mit. Dieses Bild entstand im Juni 2013 in Kairo. Foto: Roger Anis (C)
Als Fotograf erlebte Roger Anis Wut, Enthusiasmus und Alltag der Umstürze in Ägypten hautnah mit. Dieses Bild entstand im Juni 2013 in Kairo. Foto: Roger Anis (C)

Der zweite Tag der ägyptischen Präsidentschaftswahlen geht heute über die Bühne. Dann ist auch Roger Anis wieder im Einsatz. Der 27-jährige begann seine Arbeit als Fotojournalist in Kairo ein Jahr vor Beginn der Proteste gegen das Mubarak-Regime. Die politischen Ereignisse der vergangenen drei Jahre veränderten das Land, seine Arbeit und seinen persönlichen Werdegang. Im Interview mit Alsharq reflektiert er seine Zeit der Umbrüche.

Dieser Beitrag ist Teil unserer Journalismus-Serie. Alle Texte finden Sie hier.

Alsharq: Wie hast Du die vergangenen drei Jahre der Umbrüche erlebt – professionell und persönlich?

Roger Anis: Ich begann 2010, einige Monate vor der Revolution, in Kairo als Bildjournalist zu arbeiten. Da war es noch schwierig als Journalist, vieles war der Presse nicht zugänglich und es gab fast keine öffentlichen Demonstrationen. Wenn wir da mal einen Protest hatten, dann gab es richtig Streit unter den Kollegen, denn es gab nicht viele Gelegenheiten, öffentlichen Unmut zu dokumentieren. Zudem war die Polizei sehr restriktiv.

Dann begann die Revolution und alles änderte sich. Für mich war es ein Glück, mich dem Fotojournalismus zu so einer Zeit verschrieben zu haben, denn jeden Tag, jede Stunde passierte etwas Neues und die Geschehnisse waren sehr bedeutsam. Andere Fotografen arbeiten Jahre um Jahre und bekommen nicht ein Drittel der Fotos, die wir in drei Jahren zusammengetragen haben. Gleichzeitig war es ein Lernprozess – und sehr viel Arbeit. Auf der menschlichen Ebene war es nicht leicht, mit dem ständigen Stress umzugehen und die Ereignisse zu verdauen. Es gab keine Zeit, um auszuspannen.

Wie fühlte es sich an, mit der Kamera den Massenprotesten beizuwohnen?

Manchmal war es ein tolles Gefühl, wenn ich Freunde in der Menge entdeckte und Bekannte um mich hatte. Manchmal aber war es einfach voll und die Atmosphäre irgendwie falsch. Viele der Großereignisse auf dem Tahrir-Platz waren doch gelenkt von politischen Bewegungen und die brachten ihre eigenen Leute zur Kundgebung. Die Muslimbrüder zum Beispiel – ebenso wie alle anderen – brachten ihre Anhänger in Bussen aus dem ganzen Land zu den Demonstrationen. Ob sie gekauft waren, kann ich nicht sagen, doch sie waren eben gelenkt. So fühlten sich dann die Massen oft verfälscht an.

Du bist nicht nur Journalist, sondern warst als Bürger von den Protestbewegungen auch direkt angesprochen. Hast du dich selbst als Aktivist gesehen?

Ich fühle mich nicht als Aktivist und war nie Aktivist. Ich bin aktiv mit meiner Kamera. Im Zuge all der Ereignisse, die ich begleitete, war ich nie für oder gegen eine Seite, sondern mit meiner Kamera mittendrin. Und da gehört ein Fotograf aus meiner Sicht auch hin. Natürlich ist man als Mensch geneigt, das eine oder das andere Team zu unterstützen – ob liberal oder konservativ, christlich oder muslimisch – aber als wahrer Journalist muss man dazwischen bleiben, als Beobachter, und die Wahrheit berichten.

Das effektivste Mittel, um die Wahrheit zu berichten, ist und bleibt das Visuelle. Obwohl mit moderner Technik viel manipuliert werden kann, bleiben Bilder und Videos wichtige Zeugnisse.

Welche Momente der letzten Jahre sind besonders im Kopf geblieben?

Die Erinnerungen sind so zahlreich, es ist schwer eine als besonders zu bezeichnen. Sicher gehört der Moment dazu, als Mursi seine erste Rede als Präsident auf dem Tahrir-Platz hielt. Ich kam gerade aus meiner Heimatstadt zurück und wollte noch eben mein Equipment aus dem Büro holen, bevor es losging. Sich durch die Menge zu kämpfen, um einen guten Platz zum Fotografieren zu finden, war abenteuerlich. Alle standen dicht gedrängt, es war chaotisch, viele wurden ohnmächtig. Egal, ob ich Mursi unterstütze oder nicht, egal ob all die, die ihm dort zuhörten, ihn unterstützten oder nicht: Dort stand ein gewählter Präsident und er sprach in der Öffentlichkeit – das war lange nicht mehr passiert. Noch dazu auf diesem symbolträchtigen Platz. Das war etwas Neues.

Einige der politischen Ereignisse haben sich direkt auf deine Heimatstadt und deine Familie ausgewirkt. Wie gingen persönliche Betroffenheit und Berichterstattung zusammen?

Es hat sich gut angefühlt, darüber berichten zu können, was passierte, weil es sich anfühlte, als könne ich etwas für den Ort tun, zu dem ich gehöre und für die Dinge, an die ich glaube. Ich war glücklich, Fotos aus meiner Heimatstadt Minya an Agenturen schicken zu können, um damit aufzuzeigen, was sich eigentlich in den Provinzen abspielte, während alle Augen auf Kairo gerichtet waren. Ich war froh, etwas beitragen zu können, was in den Medien offensichtlich fehlte. Gleichzeitig war ich traurig und schockiert über das, was ich in Minya sah. Die Zerstörung dort war immens.

Was haben die ereignisreichen Jahre aus deiner Sicht heute für einen Effekt auf die öffentliche Wahrnehmung?

Die vergangenen drei Jahre waren eine Folge einschneidender Veränderungen und Ereignisse für uns Ägypter. Die Menschen sind heute erschöpft vom Geschehen, haben die Nase voll und kümmern sich nicht weiter darum. Was heute für die Weltöffentlichkeit ein großes Ereignis darstellt, wird hier gar nicht mehr so wahrgenommen. 50 Tote nach Protesten? Die Leute bewegt es nicht mehr groß.

Dass die Aufmerksamkeit der Medien gesunken ist, liegt allerdings auch daran, dass Journalisten es heute nicht mehr leicht haben.

Und wie ist die Situation für Journalisten in Ägypten aktuell?

Gerade ist es sehr schwierig hier für Journalisten. Es haben sich zwei politische Lager herausgebildet: eines für das Regime und eines für Mursi. Als Fotojournalist stehst du dazwischen. Beide Seiten machen Fehler und niemand möchte sich vor den Medien die Blöße geben. Sie haben ihre eigene Vision für die Presse in Ägypten: Der Journalist sitzt im Büro und sie senden ihm ihre Informationen. Nach dem Motto: „Wir wollen, dass du siehst, was wir wollen, das du siehst.“

Gerade erst war ich bei einer Demonstration von Studierenden. Keiner meiner Kollegen war dort. Und ich kann es verstehen: Viele Zeitungen missbrauchen deren Fotos für ihre eigenen Ansichten. Da sind viele Bildjournalisten frustriert. Wenn du wirklich Fotos machen möchtest, dann musst du dich verstecken, tarnen und kleine Kameras benutzen. Wirst du geschnappt, ist das eine Katastrophe: Da wird das Equipment beschädigt oder beschlagnahmt und du bist in Gefahr. Kürzlich erst haben Kollegen berichtet, dass sie einige Tage festgenommen wurden.

Erlebst Du eine positive Veränderung, verglichen mit früheren Zeiten?

Es ist ein Unterschied – und einer zum Besseren. Die Lage ist schwierig heute, aber über die letzten drei Jahre hinweg hat sich die Lage oftmals verändert: Mit der Informationsfreiheit ging es immer auf und ab. Es ist also erstmal nicht gut oder schlecht, sondern ständig anders, immer abhängig von den Umständen. Macht kontrolliert, was man sieht.

Vielen Dank, Roger, für das Gespräch.

Lea ist seit 2011 bei Alsharq. Sie hat Internationale Politik und Geschichte in Bremen und London (SOAS) studiert und arbeitet seitdem als Journalistin. Mehrere Jahre hat sie in Israel und Palästina gelebt und dort auch Alsharq-Reisen geleitet. Lea ist heute Redakteurin bei der Wochenzeitung Die Zeit.