Vor seinen Eltern verschweigt Fouad B. (27) seine Homosexualität. Und in Beiruts Schwulenbars tanzt er lieber mit Frauen. Die Geschichte eines jungen Mannes, der die Diskretion perfektioniert hat, um zusammen mit seinem Partner Ali K. (24) nicht aufzufallen.
Fouad B. und Ali K. (Namen geändert) streiten sich viel. Über die libanesische Regierung, Sinn und Unsinn des Islam – und über Fouad B.s beruflichen Ehrgeiz. Weil der junge Künstler auch nach Feierabend intensiv an seiner Karriere feilt, bleibt dem Paar oft nur wenig Zeit zu zweit. Fouad B.s Wohnung in der libanesischen Hauptstadt beherbergt viele kleine Möbel, die er mit eleganter Kalligrafie versehen hat. Irgendwann möchte er von seinem Kunsthandwerk leben können. Bis es soweit ist, verdient er sich seinen Lebensunterhalt als Kellner. „Fouad ist so perfektionistisch“, kommentiert Ali K. den Arbeitsdrang seines Partners, halb klagend, halb bewundernd.
Vor Fouad B.s Schlafzimmer im Osten Beiruts breitet sich die auf vielen Hügeln erbaute Stadt aus. Kleine Häuser in verblassten Pastellfarben drängen sich eng aneinander, kreuz und quer hängen Stromkabel zwischen den Gebäuden. Vor den Fenstern trocknet Wäsche. Die Abgase der vorbeifahrenden, laut hupenden Autos verleihen Shirts und Handtüchern eine staubig-matte Optik und den zugehörigen Geruch. Die Wagen, die nicht dem Verlauf der Hauptstraße ins Zentrum folgen, sind von Fouad B.s Fenster aus kaum mehr zu sehen.
Auch Fouad B. und Ali K. wissen, wie es ist, sich abseits der Norm zu bewegen, immer unter dem Radar. Die Familien der beiden Männer aus dem Süden des Landes wissen nichts von der gleichgeschlechtlichen Beziehung. Fouad B. verheimlicht seine sexuelle Orientierung schon seit Jahren vor den Eltern. Druck, eine Frau zu finden, habe ihm die Familie, wie er sagt, nie gemacht. Mutter und Vater wissen, der hübsche Mann mit den durchtrainierten Armen und den langen Wimpern ist ein Freigeist, der stark unter Fremdbestimmung leiden würde. Anders als seine muslimischen Eltern interessiert sich der 27-Jährige mehr für die Götter der Antike als für Allah.
Trotz der unterschiedlichen Lebensweise: Der Wahl-Beiruter besucht seine Eltern einmal in der Woche in der alten Heimat – der als relativ liberal geltenden und vor allem von Schiiten bewohnten Großstadt Sour, die unweit der israelischen Grenze liegt. Oft bringt Fouad B. dabei seine Schmutzwäsche zum Waschen mit. „Einmal ist die Strumpfhose meiner Mitbewohnerin dazwischengeraten. Es war klar, was meine Mutter gedacht hat. Ich ließ sie in dem Glauben“, berichtet Fouad B. mit seiner tiefen Stimme. Das Frauenkleidungsstück hat seinen Weg stillschweigend zurück in die Reisetasche des jungen Mannes gefunden. „Unsere Eltern sprechen mit uns nicht über Dinge, die im Widerspruch zu ihren konservativen Werten stehen. Vielleicht ist es für sie so, als würden diese Dinge dann gar nicht passieren“, glaubt Fouad B.
Vorehelicher Sex zum Beispiel ist in kaum einem libanesischen Elternhaus ein Thema. Über seine Homosexualität traut er sich erst recht nicht zu sprechen. Lieber nimmt der junge Mann in Kauf, dass die Eltern - fälschlicherweise – denken, dass Frauen ihre Strumpfhosen im Zimmer des Sohnes ausziehen: „Das ist Libanesen tausendmal lieber als ein schwuler Sohn.“
Oasen für Schwule und Lesben
In Beirut, einer Stadt mit rund 1,5 Millionen Einwohnern, fühlt sich Fouad B. frei. „Meine Wurzeln würde ich trotzdem niemals aufgeben“, betont der junge Mann in einwandfreiem Englisch, dem man den rauen Akzent des libanesischen Südens aber noch leicht anhört. Manchmal nerven ihn die Hauptstädter mit ihrer weichen Aussprache und der überzogenen westlichen Attitüde: „Wenn Terroristen einen Anschlag in Paris begehen, hinterlegen die Leute hier ihr Facebook-Profil mit der französischen Flagge. Als sich aber letztes Jahr IS-Terroristen hier in einem Vorort in die Luft gesprengt und viele Unschuldige mit in den Tod gerissen haben, hat niemand ein Wort über unsere Landsleute verloren.“
Eine Zeit lang ist er wegen eines Jobs zurück in seine Heimatstadt Sour gegangen. „Ich habe es aber bald nicht mehr ausgehalten und wollte nur noch zurück nach Beirut“, erinnert sich Fouad B. In der Hauptstadt hat er tolerante und gleichgesinnte Freunde. Zudem liebt er die dortige Partyszene. An einem typischen Abend gehen er und seine Freunde etwa in die Gay-Bar „Bardo“. Zu Liedern von Britney Spears und Bruno Mars umschlingen sich Männer auf dem Gang. Foaud B. tanzt währenddessen ausgelassen mit seiner besten Freundin – was in der „Gay-Bar“ durchaus schon mal für Irritationen sorgt. „Bist du homo oder 'ne Hete?“, fragt dann schon mal ein neugieriger Partygast. Denn neben den vielen homosexuellen Besuchern, zieht es auch heterosexuelle Leute in die Bar.
Fouad B. amüsiert sich über die Frage nach seiner sexuellen Orientierung – weil es den Menschen offenbar schwerfällt, ihn in eine Schublade zu stecken: „Ob ich mich für Männer oder Frauen interessiere, geht niemanden etwas an“. Seine Freunde stören sich nicht an Foaud B.s Diskretion, die er auch hier nicht gänzlich aufgeben mag.
Orte wie das „Bardo“ oder der Gay-Club „Posh“ sind aber selbst im vergleichsweise toleranten Beirut Oasen der homosexuellen Szene. Auf den Straßen der multikonfessionellen Hauptstadt ist gleichgeschlechtliche Liebe hingegen nirgendwo sichtbar. Dabei hat sich die gesetzliche Lage für schwule und lesbische Libanesen in den vergangenen Jahren deutlich verbessert. Erst im Januar dieses Jahres hat ein Richter erneut die Anwendung des Artikels 534 des libanesischen Strafgesetzbuches abgelehnt, als er den Fall von neun wegen ihrer gleichgeschlechtlichen Orientierung angeklagten Männern vor Gericht zu verhandeln hatte. Das schwammig formulierte Gesetz besagt, dass „widernatürlicher“ Geschlechtsverkehr verboten und mit Bußgeld oder einer bis zu einjährigen Haftstrafe zu ahnden sei – der Artikel 534 geht noch auf die französische Mandatszeit zurück. Libanesische Nichtregierungsorganisationen wie „Helem“ oder „Proud Lebanon“, die sich für die schwule, lesbische und Transgender-Community des Landes einsetzen, demonstrieren regelmäßig für die Abschaffung dieses Artikels.
Trotz liberaler Gesetzeslage schikaniert die Polizei Betroffene
Doch nach neueren Umfragen lehnen noch immer 70 Prozent der Libanesen Homosexualität ab – gleichzeitig sprechen sich aber 90 Prozent der Bevölkerung gegen Gewalt gegen die Betroffenen aus. Diese geht im Zedernstaat übrigens häufig von Polizisten aus: Oft nehmen Beamte (vermeintlich) schwule Personen fest und erpressen oder misshandeln sie. Auf Geheiß der Polizei hin führen Ärzte bei Festnahmen zudem oftmals ein Metallobjekt in den Enddarm von Betroffenen ein. Dieser „Anal-Test“ soll feststellen, ob gleichgeschlechtlicher Sex unter Männern stattgefunden hat. Menschenrechtsorganisationen, wie „Human Rights Watch“ bezeichnen das Verfahren als Vergewaltigung.
Vor allem Syrer waren in den vergangenen Jahren häufig von polizeilichen Übergriffen betroffen: Anders als viele libanesische Homosexuelle kennen sie nämlich die vergleichsweise liberaleren Rechte im Zedernstaat nicht. Die Situation der homosexuellen Kriegsflüchtlinge aus dem Nachbarland ist auch aus anderen Gründen problematisch. „Viele verkaufen aus der Not heraus ihren Körper“, sagt Fouad B. und erzählt von einem libanesischen Freund, der häufig Männerbesuch empfange: „Es ist schon vorgekommen, dass syrische Männer ihn nach dem One-Night-Stand um 20 Dollar gebeten haben – angeblich, um ein Taxi nach Hause zu bezahlen.“ Ein ungewöhnlich hoher Preis für eine Fahrt innerhalb der Stadt. Ein ungewöhnlich niedriger für eine sexuelle Dienstleistung. Aber in einem Land mit der statistisch betrachtet höchsten Flüchtlingsrate der Welt und einer desaströsen Wirtschaftslage leider keine Ausnahme.
Fouad B. selbst hat seinen Platz in der Gesellschaft gefunden, anders als sein Freund Ali K.: Dieser beginnt erst damit, seine sexuelle Neigung aktiv auszuleben und sich mit Gleichgesinnten zu umgeben.
Der 24-Jährige legt großen Wert auf seinen muslimischen Glauben. Er weiß, dass viele Menschen in seiner Umgebung den Islam und Homosexualität für unvereinbar halten. Ali K. hat lange Zeit versucht, die libanesische Norm zu leben und sogar eine Freundin gehabt. „Aber mir hat etwas gefehlt“, erinnert sich der junge Mann mit den kurz geschorenen Haaren und den hellen Augen. Selbst unter Freunden fällt es ihm noch immer schwer, über seine sexuelle Neigung zu sprechen. Lieber diskutiert er über Politik, was häufig zu Streit mit seinem Partner führt. „Er ist manchmal sehr konservativ“, begründet Fouad B. die Differenzen.
Trotz der verschiedenen Weltanschauungen: Ali K. hat sich sofort in den Freidenker verliebt. Auf der Arbeit verschweigt der Staatsbedienstete seine Gefühle für einen anderen Mann: „Ich würde meinen Job riskieren.“ Auch den Gedanken an eine gemeinsame Zukunft verdrängen die beiden Libanesen bisher. „Männer, denen es ernst miteinander ist, versuchen meist, zusammen nach Europa zu gehen“, erklärt Fouad B. Das aber käme für den kreativen Libanesen nicht in Frage: „Hier habe ich mir über die Jahre viel aufgebaut, ich kann eine gute Stelle finden, wenn es mit dem Kunsthandwerk nicht klappt. Dort müsste ich beruflich bei Null anfangen.“ Deshalb folgt er weiterhin seiner Strategie und hält seine Homosexualität vor Fremden und Verwandten streng geheim.
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