09.11.2010
Blogger in Ägypten: »Fluch und Segen zugleich«

Von Nils Metzger

Die ägyptische Polit- und Kulturbloggerin Zeinobia erzählt, wie die Liebe zu ihrem Land sie das politische Versagen der aktuellen Regierung aushalten lässt. Ihr Blog »Egyptian Chronicles« versucht, aus dem Geist der Vergangenheit eine glorreiche Zukunft zu erschaffen.

Alsharq: In den letzten Wochen scheinen Sie fast ausschließlich über Gewalt und soziale Missstände zu berichten. Schmerzt es Sie nicht, sich täglich nur mit diesen Themen zu beschäftigen, wo »Egyptian Chronicles« doch eigentlich die ägyptische Kultur in ihrer ganzen Vielfalt beleuchten möchte?

Zeinobia: Ich wünschte wirklich, ich könnte über andere interessante Dinge berichten. Fröhlichere Dinge als die jüngsten Vorfälle und Debatten, die wir in Ägypten erleben. Hoffentlich wird irgendwann alles besser.

Viele internationale Experten und Magazine zitieren Sie mittlerweile als unabhängige Expertin für die ägyptische Politlandschaft.

Ich halte mich selbst nicht für einen Experten. Tatsächlich bin ich sehr verwundert, das zu hören oder zu lesen. Ich drücke nur meine persönliche Meinung darüber aus, wie ich mir die Zukunft meines Landes vorstelle.

Wenn Sie schreiben, verwenden Sie stets das Pseudonym »Zeinobia«. Wie kamen Sie darauf?

Einerseits entschied ich mich dafür, da es meinem richtigen Namen, Zeinab, ähnelt, genauso war die Königin von Palmyra aber auch eine bewundernswerte Person. Sie begehrte gegen die Römer auf und formte ein kleines Reich von Syrien bis Ägypten. Es ist also eine Kombination aus arabischem Nationalismus, Liebe zur Geschichte und Feminismus.

»Ich bin eine typische ägyptische Bloggerin«

Wissen viele Menschen davon, wer hinter den »Egyptian Chronicles« steht? Was denkt Ihre Familie darüber?

Nicht viele Personen kennen mich als Zeinobia. Alle meine engen Freunde interessieren sich nicht fürs Bloggen oder für Politik und nur sehr wenige andere Blogger kenne ich persönlich. Es ist Segen und Fluch gleichermaßen.

Gibt es so etwas wie das Klischeebild des typischen Bloggers – trifft es vielleicht sogar auf Sie zu?

Ich vermute, dass ich mich zu einem typischen ägyptischen Blogger entwickelt habe. Und obwohl die klassischen Medien versuchen, unseren Einfluss herunterzuspielen, haben wir uns unseren Platz in der Medienlandschaft erkämpft. Viele Menschen nutzen das – nicht um politisch aktiv zu sein, sondern um ihren Charakter auszuleben. Gerade erst gestern habe ich einen Blog über alte arabische Musik entdeckt.

Wer bloggt in Ägypten und spielt Bildung dabei eine Rolle?

Nicht alle Blogger sind Akademiker. Ich glaube, dass sich viele der frühen Autoren mittlerweile zu einer Art »Web-Elite« entwickelt haben. Einige haben mit dem Verkauf von Büchern sogar einigen Erfolg erzielen können. Tatsächlich sagen aber viele Leute, dass sich ein Bruch zwischen diesen »Elite-Bloggern« und den Menschen der Unterschicht entwickelt hat. Was nicht ganz fair ist. Nach meiner Auffassung befasst sich ein Großteil der Blogosphäre mit sozialen Themen, berichtet und klärt auf.

»Als ob wir in Ägypten richtige Parteien hätten!«

Nicht viele Autoren sind bereit, ihre Meinung so dezidiert offen zu legen. Wurden Sie von Ihren Eltern politisch erzogen?

Ich bin in einer bürgerlichen Familie der ägyptischen Mittelschicht aufgewachsen. Mein Vater und Großvater waren in den Medien beschäftigt. Politische Diskussionen sind mir also nicht fremd. Jedoch weiß ich nicht, wie ich mich selbst politisch einordnen würde. Ich besitze keine Präferenz für die eine Partei oder die andere. Als ob wir in Ägypten richtige Parteien hätten! Am meisten kann ich mich mit den politischen Ansichten von Mohammed el-Baradei identifizieren. Ich bin nicht gegen den Staat selbst, sondern nur gegen das gegenwärtige Regime.

Und Sie laufen nicht Gefahr, den Einfluss el-Baradeis überzubewerten?

Die Bewegung floriert in einer Weise, die wir nicht erwartet hätten. Besonders die Ermordung Khaled Saids hat die Wut unter Jugendlichen vergrößert. Ich glaube, dass wir hier tatsächlich etwas erreichen können. Die NDP und Gamal Mubarak versuchen heute die gleiche digitale Vorgehensweise wie die Aktivisten zu nutzen. Nach dem Motto: »Wenn du sie nicht schlagen kannst, schließe dich ihnen an.«

Sie sprechen gerade den Fall Khaled Said an: Viele Blogger leiden unter Repressalien der Polizei. Haben Sie bereits solche Erfahrungen gemacht?

Nein, das habe ich Gott sei dank noch nicht. Aber jedes Mal, wenn ich davon höre, dass ein Blogger geschlagen oder verhaftet wurde, besorgt mich das, da mir jederzeit das Gleiche zustoßen könnte. Wann immer Blogger von Protesten berichten, werden Sie angegriffen. Es ist besorgniserregend, besonders in einem Land wie Ägypten.

»Die jungen Menschen entdecken die Vergangenheit neu«

Mit Ihrem Blog skizzieren Sie immer wieder verschiedene gesellschaftliche Utopien. Wie würde Ihr persönliches goldenes Zeitalter für Ihre Heimat aussehen?

Tatsächlich gibt es da keinen einzelnen Zeitpunkt, an dem ich mich orientiere. Zum Beispiel bin ich von dem politischen Liberalismus des vorrevolutionären Ägyptens, also vor 1952, sehr angetan. Gleichzeitig schätze ich die Außenpolitik der Nasser-Ära und ihre Großprojekte für den öffentlichen Sektor. Mein utopisches Ägypten ist ein demokratischer Staat mit einer Regierung, welche die wahre Position unseres Landes in der Region versteht.

Besonders die Perspektivlosigkeit der Jugend scheint schwer auf der Gesellschaft zu lasten.

Diese Erfahrung musste ich auch machen. Eineinhalb Jahre verbrachte ich damit, von einem Vorstellungsgespräch zum nächsten zu ziehen, ohne Arbeit zu finden.

Wie half Ihnen die Vergangenheit dabei, optimistisch zu bleiben?

Mein Blog heißt »Egyptian Chronicles« - Ägyptische Chroniken. Diese befassen sich nicht nur mit Politik, sondern mit allem, was das Leben in Ägypten bestimmt. Ich liebe seine großartige Vergangenheit. Es hinterließ uns ein Erbe, wie es kein anderes arabisches Land besitzt. Und ich liebe es, darüber zu schreiben, denn in den vergangenen drei Jahrzehnten schien es, als habe die Geschichte mit Mubaraks Präsidentschaft begonnen. Es ist eine alte ägyptische Tradition, dass jeder Pharao die offizielle Geschichtsschreibung nach seinem Gusto abändert. Heute entdecken junge Menschen die Vergangenheit neu. Angefangen hat es mit der König-Farouk-Manie, speziell nach dem Fiasko der aktuellen Regierung hat sich das Phänomen aber ausgeweitet. Dieser Stolz auf ihre Geschichte hilft Jugendlichen ein neues Gefühl der Zugehörigkeit zu entwickeln und stolz auf Ägypten zu sein.