Bis 2000, dem Beginn des palästinensischen Aufstands, passierten mehrere 10 000 Menschen täglich den Erez-Checkpoint zwischen Gaza und Israel. Seither hat sich viel verändert, wie ein Blick auf die sich wandelnden Bedingungen am Übergang zeigt. Nur wenige Menschen können das „Gefängnis mit Meerblick“ heute noch verlassen.
„Früher war alles besser“ ist eine gängige Redewendung der älteren Generation. Vieles war einfacher. Auf den Zugang zum Gaza-Streifen trifft dies sicher zu: Mohammed lernte ich im Herbst 1999 oder Frühjahr 2000 im Bus von Tel Aviv nach Gaza kennen. Da war er etwa 40 und arbeitete schon viele Jahre auf Baustellen in Israel. Er lud mich ein, ihn in seinem Haus im Flüchtlingslager bei Khan Yunis zu besuchen. Das war damals kein Problem, wir trafen uns am Stadion von Maccabi Jaffo, im Süden Tel Avivs, wo in der Heinrich-Heine-Straße die Busse Richtung Gaza abfuhren, sobald der Bus etwa halb voll war. Die restlichen Plätze füllten sich unterwegs, wo der Bus auf ein Handzeichen der dort stehenden Arbeiter am Straßenrand hielt. Am Erez-Checkpoint trennten sich unsere Wege für etwa 800 bis 1000 Meter Luftlinie. Mohammed ging auf die linke Seite durch die mit Magnetkarten passierbare Schleuse für Palästinenser, während ich als Ausländer zu Fuß ein Lastwagen-Terminal passierte, um im Checkpoint-Büro einen Passierschein zu erhalten. Auf der anderen Seite trafen wir uns wieder, und ich begleitete Mohammed in einem großen Bus, der die nach Hause zurückkehrenden Arbeitern zur gewünschten Stelle entlang der Nord-Süd-Hauptroute zwischen dem Checkpoint und Rafah an der ägyptischen Grenze brachte.
Am nächsten Morgen hieß es früh aufzustehen. Die Stadt lag ruhig da, die sandigen Straßen waren kühl. An der Hauptstraße standen in schweigenden kleinen Grüppchen Männer, in der Hand eine Plastiktüte mit Proviant und Handy. Etwas müde stiegen die Arbeiter in den Bus, der sich langsam füllte. Und noch vor dem ersten Ruf des Muezzins erreichten wir den Checkpoint nach Israel. Dort war trotz der frühen Stunde schon einiges los: Jugendliche verkauften lauthals Tee und Kaffee, während die Arbeiter sich Richtung Schleuse bewegten. Täglich passierten so mehrere 10 000 palästinensische Arbeiter zwischen vier und sieben Uhr morgens den Checkpoint Erez am Nordende des Gaza-Streifens. Wie Mohammed arbeiteten die meisten in der Bauindustrie, denn fast alle Häuser in israelischen Städten wurden damals von palästinensischen Bauarbeitern aus der Westbank und dem Gaza-Streifen errichtet. Auf der israelischen Seite des Checkpoints warteten schon Dutzende von Doppelstockbussen, die Beer Sheva, Tel Aviv und andere Orte anfuhren. Mohammeds Arbeitswelt brach mit dem Ausbruch der Feindseligkeiten und terroristisch-kriegerischen Auseinandersetzungen Ende September 2000 zusammen. Seitdem war der Checkpoint aufgrund vieler Kämpfe und Schießereien für palästinensische Arbeiter fast durchgehend und für Ausländer oft geschlossen.
Bis dahin konnten Ausländer ohne Beschränkung nach Gaza einreisen. Wer der israelischen Armee einen ausländischen Pass vorlegen konnte, marschierte durch einen etwa 30 bis 50 Meter breiten und rund 700 Meter langen Schlauch zwischen zwei Betonwänden von der israelischen zur palästinensischen Seite. Dort wurde nochmals der Pass inspiziert und die Daten handschriftlich in ein Buch eingetragen. Umgekehrt war bei der frühmorgendlichen Ausreise mit den Arbeitern der palästinensische Checkpoint für Ausländer noch geschlossen. Auf der israelischen Seite stand am Ende des hell erleuchteten Betonschlauchs ein runder Wachturm mit israelischen Soldaten, die am Anfang sichtbar, später hinter einer Betonwand mit Panzerglas die Pässe kontrollierten.
Vom Checkpoint zum Grenzübergang – trotz Nicht-Beziehung zu Israel
Die Zeiten des einfachen Übergangs sind vorbei. Im Juni 2007 übernahm die Hamas in einem blutigen bürgerkriegsartigen Kampf die Macht über den Gazastreifen. Da einflussreiche Gruppierungen innerhalb der Hamas das Existenzrecht des Staates Israel nach wie vor nicht anerkennen und seine Zerstörung zum Ziel haben und propagieren, gibt es nur indirekte Kontakte zwischen Israel und der Hamas-Regierung. Der Personenverkehr hat sich seither nochmals reduziert.
Parallel zu den Kämpfen errichtete die israelische Grenzbehörde ein riesiges Hochsicherheits-Terminal zur Abfertigung des Personenverkehrs nach und von Gaza. Statt eines Passierscheins gibt es Exit- und Entry-Stempel in den Pass, wie an einer Grenze üblich. Politisch-diplomatisch zieht Israel seine Grenze damit entlang des Gaza-Streifens.
Die israelische Seite erlaubt die Einreise ausländischen Journalisten, Mitarbeitern von internationalen Hilfsorganisationen sowie auf Antrag israelischen Araber, die Verwandte im Gaza-Streifen zu besonderen Anlässen, wie Hochzeiten oder Geburtstagen, besuchen dürfen. Oftmals kehren sie beladen mit Gütern zurück, die in Gaza – trotz der Blockade – durch die Tunnelwirtschaft mit Ägypten billiger sind als in Israel. Nur wenige Palästinenser dürfen den Checkpoint nutzen, sofern sie aus israelischer Perspektive kein Sicherheitsrisiko darstellen und zum Beispiel für eine internationale NGO arbeiten. Außerdem passieren Schwerkranke den Übergang, um in israelischen Krankenhäusern behandelt zu werden, darunter war sogar schon eine Enkelin des Hamas-Premiers Haniye. Der Checkpoint ist in ruhigen Zeiten von Sonntag bis Donnerstag vom frühen Morgen bis zum späten Nachmittag geöffnet. Durchschnittlich passieren von Gaza nach Israel täglich 350 Personen, darunter 15 Prozent Ausländer, den Erez-Grenzübergang, obwohl dieser einmal auf 40 000 tägliche Übertritte ausgelegt war.
Während die israelische Seite das Team um einen plastischen italienischen Chirurgen ausfragt und löchert, interessiert sich kaum jemand für den deutschen Journalisten. Der Weg nach Gaza führt mittlerweile durch mehrere aufeinander folgende Drehtüren als kleinem Spalt in der hohen Sicherheitsmauer. Daran schließt sich ein fast ein Kilometer langer Gang an, der von beiden Seiten als Zaun mit Stacheldraht und einem Dach gesichert ist. Den ganzen Weg über wird man von Kameras begleitet, während die Sicherheitsleute unsichtbar bleiben – und nur ab und an hörbar Kommandos von sich geben. Wo früher die Wege für die wenigen Ausländer und die vielen Arbeiter getrennt verliefen, gibt es heute nur mehr ein Terminal.
Die Hamas-Regierung fordert heute für den Besuch neben einer Einladung vorab eine Pass-Kopie, Foto und die Details der Kamera-Ausstattung an. Die einladende Person oder Organisation legt diese Unterlagen in einem Ministerium vor und erhält daraufhin für den Besucher eine Art Visum mit Foto des Einreisenden.
Eine Überraschung präsentiert sich bei der palästinensischen Abwicklung der Einreise, denn es gibt zwei palästinensische Checkpoints: Der erste wird von der mit Israel zusammenarbeitenden Palästinensischen Autonomiebehörde direkt am Ausgang des israelischen Sicherheitsschlauchs geführt. Unbewaffnete Beamte überprüfen, ob eine entsprechende Einreisegenehmigung vorliegt. An dieser Stelle nehmen Organisationen ihre Gäste in Empfang und Taxis stehen bereit. Etwa einen Kilometer dahinter liegt der Hamas-Checkpoint hinter ein paar Betonbarrikaden in Containern. Auch hier wird an einem Schalter die Einreisegenehmigung überprüft und nach einem undurchsichtigen System werden scheinbar willkürlich Taschen und Koffer inspiziert. Dann heißt es: Willkommen in Gaza!
Teil 2 dieses persönlichen Reiseberichts in den Gaza-Streifen veröffentlichen wir in den kommenden Tagen.