Wenn man in Beirut den Bus am Nationalmuseum verlässt, befindet man sich genau an der „Green Line“, jener von Nord nach Süd verlaufenden Grenze, die Beirut während des Bürgerkriegs für fast 15 Jahre in einen „muslimischen Westen“ und einen „christlichen Osten“ geteilt hat. Noch heute säumen zahlreiche Ruinen die Rue Damas, entlang derer die Grenze zwischen den Machtbereichen christlicher und muslimischer Milizen verlief und die schließlich auf den größten Platz Beiruts, den Märtyrerplatz, arabisch „Saahat ash-Shuhada“ mündet.
Dieser Platz war bis 1975 das Zentrum der Stadt und ihr wichtigster Verkehrsknotenpunkt – heute ist das Areal eine Steinwüste. Lediglich das Denkmal für die Märtyrer, die beim Kampf für die Unabhängigkeit Libanons ihr Leben ließen, blieb erhalten, auch wenn es von Einschusslöchern übersäht ist. Vor einem Jahr, also etwa einen Monat nach dem Anschlag auf Libanons Ex-Premier Rafik Hariri, befand sich um dieses Denkmal herum die blaue Zeltstadt der „Zedernrevolutionäre“. Sie forderten einen Abzug Syriens aus dem Zedernstaat und kämpften für eine weitere Demokratisierung des Landes. Ihr Massenprotest, der am 14.März 2005 eine Million Menschen auf dem Märtyrerplatz zusammenbrachte, sollte so hofften damals viele, Signalwirkung für Demokratiebewegungen im Nahen Osten haben. In der Tat konnte ein syrischer Abzug erzwungen werden – die Demokratisierung des Landes stagniert seither allerdings.
Nur wenige Meter vom Platz entfernt wurde Rafiq Hariri bestattet. Das Grab unter einem großen weißen Zelt war mit Blumengebinden überladen, Menschen weinten und zwei muslimische Geistliche hielten Totenwache. In einem kleineren Zelt daneben waren 12 seiner 22 Begleiter und Passanten, die mit Hariri umkamen, beigesetzt worden – der Anblick der zwölf in einer Reihe aufgebahrten Gräber machte betroffen
Gleich hinter dem Zelt beginnt das Viertel „Beirut Downtown“, das vom saudisch-libanesischen Geschäftsmann Hariri finanziert wurde. Mit seinen sandsteinfarbenen Gebäuden und Straßencafes würde man dieses Viertel wohl eher in Athen, Barcelona oder Rom vermuten – im noch immer von Kriegsschäden gezeichneten Beirut wirkt es wie ein Fremdkörper, auch weil die Cafes und Restaurants ein annehmbares Preisniveau weit übersteigen.
Einige hundert Meter in westlicher Richtung gelangt man zur Saint-George-Bay in Beirut. am 14.Februar 2005 wurde hier eine Tonne Sprengstoff zur Explosion gebracht, genau zu dem Zeitpunkt als Hariri mit seinem Konvoi an der Stelle vorbeifuhr. Wer hinter diesem Anschlag steckt, ist noch immer nicht mit letzter Gewissheit geklärt – vieles deutet auf syrische Geheimdienstkreise hin. Auch einen Monat nach der Explosion sah es in der Rue Minet al Hosn immer noch so aus, als habe sich der Anschlag gestern ereignet. Zerstörte Autos standen herum, zersplittertes Glas und Schutt der umliegenden Häuser lagen auf der Fahrbahn. Auch wegen der schleppenden Ermittlungen war die Stadt, neben dem allgegenwärtigen Konterfei Rafik Hariris, mit Aufklebern und Plakaten mit der Forderung „al-Haqiqa“ , die Wahrheit, gepflastert.