Was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn die Medien von politischen Akteuren abhängen? Bei einer Alsharq-Veranstaltung erklärte Sarah el-Richani vom St. Antony’s College der Universität Oxford diese Frage am Beispiel Libanon.
Wenn jeder an sich selbst denkt, ist an jeden gedacht – und wenn jeder Politiker ein eigenes Medium betreibt, wird über alle berichtet; so stellt sich das libanesische Mediensystem für Außenstehende dar. Bei der Alsharq-Veranstaltung „Media in Lebanon: A System of Crisis for a Nation in Crisis“ am 21. November in der „B-Lage“ in Berlin-Neukölln wurde aber die Vielschichtigkeit des Themas deutlich.
Referentin Sarah el-Richani, Visiting Fellow am Centre for Lebanese Studies an der Universität Oxford sowie demnächst Assistant Professor an der American University of Cairo, hat zu Medien im Libanon promoviert. Ihre Forschungsergebnisse sind in sehr gut lesbarer Form unter dem Titel „The Lebanese Media. Anatomy of a System in Perpetual Crisis“ (Palgrave Macmillan 2016) erschienen. Gemäß dieser ausgewiesenen Expertise erklärte die Referentin dann auch gleich zu Beginn den etwa 35 Zuhörerinnen und Zuhörern: Das Mediensystem eines Landes spiegelt die Gesellschaft und das politische System – so auch im Libanon. Das Wort „fragmentiert“ vermied sie dabei bewusst, sie nannte beide Systeme „pluralistisch“, sowohl was die konfessionelle Zugehörigkeit als auch was die politische Einstellung betrifft.
Freiheit durch Schwäche
Medien im Libanon hätten eigentlich relativ große Freiheiten, sagte el-Richani. Das liege aber weniger an der liberalen Gesetzgebung, als vielmehr daran, dass der chronisch schwache Staat die relativ restriktiven Gesetze nicht umsetzen kann. Das führt dazu, dass das kleine Land mit etwas mehr als vier Millionen Einwohnern ein enormes Medienangebot mit acht nationalen Fernseh- sowie etlichen Radiosendern und einer Vielzahl an Zeitungen und Zeitschriften aufweist.
Dass die sich aber nicht alle selbst finanzieren können, liegt auf der Hand, denn der gesamte Werbemarkt umfasst etwa 100 bis 180 Millionen Dollar pro Jahr – ein Fernsehsender allein benötigt rund 15 Millionen. Das Geld kommt also von außerhalb: von politischen Akteuren. Das schränkt die Freiheiten ein und schafft wechselseitige Abhängigkeiten zwischen politischem und Mediensystem.
Die Politiker bestimmen zwar nicht selbst, was in den Nachrichten läuft, erklärte el-Richani – aber sie besetzen die Schlüsselpositionen, etwa den Posten des Nachrichtenchefs, mit engen Vertrauten. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass die übrigen Angestellten oft ebenfalls sehr unterschiedliche Meinungen vertreten, die Medien sind Sprachrohre des jeweiligen Akteurs – sei es von Präsident Michel Aoun, Premierminister Saad al-Hariri, Parlamentspräsident Nabih Berri oder der Hisbollah.
Es geht auch konstruktiv
Doch es gibt auch Ausnahmen, betonte el-Richani auf Nachfrage von Alsharq-Vorstandsmitglied Bodo Straub, der die Veranstaltung moderierte: Der ehemalige christliche Milizen-Sender LBCI beispielsweise, mittlerweile Marktführer im Land, überzeuge durch seine relativ unabhängige und objektive Berichterstattung Libanesen aus allen politischen Lagern. Gleiches gilt für den Sender al-Jadeed, der dem Geschäftsmann Tahseen Khayat gehört und den Anspruch hat, möglichst kritisch zu berichten und Politiker aller Lager vor den Kopf zu stoßen. Auch bei den Printmedien gebe es positive Beispiele – die Zeitung al-Akhbar etwa, die eine möglichst vielschichtige Berichterstattung verfolgt. Und die größte Unabhängigkeit bestehe ohnehin im Internet, wo rasend schnell eine enorme Szene unabhängiger Blogger und Bürgerjournalisten entstanden ist.
Lebhaft diskutierte das Publikum im Anschluss an den Vortrag mit der Referentin, etwa über die Rolle der Medien in der aktuellen politischen Krise des Landes, oder über die Frage, ob man den Libanon wirklich als „schwachen Staat“ bezeichnen kann – gibt es doch mit der Hisbollah-Miliz einen quasi-staatlichen Akteur, der alle anderen Gruppierungen dominiert.
Dass Medien im Libanon aber durchaus eine positive Rolle spielen können, wurde etwa bei den Müllprotesten 2015 deutlich, die sie zunächst wohlwollend begleiteten. Erst als die Proteste sich nicht nur gegen die Misswirtschaft mit dem Müll richteten, sondern gegen das gesamte politische System, veränderte sich der Tonfall, berichtete el-Richani. Die wechselseitigen Abhängigkeiten waren dann doch stärker.
Die Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützte die Veranstaltung.
Die Nachrichtenplattform Amal, Berlin hat im Anschluss an die Veranstaltung Sarah el-Richani interviewt. Das Gespräch erschien auf Arabisch – hier zum Nachlesen.