02.08.2015
Alsharq: Eine spontane Idee wird zehn Jahre alt

Heute vor zehn Jahren, am 2. August 2005, erschien der erste Text auf unserem Blog. Der Alsharq-Gründer Christoph Sydow erinnert sich – und staunt über das, was seither passiert ist. Auch auf die Gefahr zu klingen, wie ein Großvater, der vom Krieg erzählt: Unfassbar, dass das schon zehn Jahre her sein soll, dass ich den ersten Blogpost auf Alsharq veröffentlicht habe. Ich hatte Semesterferien, es war ein Sommer ohne Olympia, Fußball-EM oder -WM. Mir war langweilig. Blogs und das Web 2.0. waren damals das große Ding und so schaute ich eines Nachmittags, welche deutschsprachigen Blogs es so zum Nahen Osten gab. Und siehe da: Es gab keinen einzigen. Ich hatte zu dem Zeitpunkt seit zwei Jahren Islamwissenschaft studiert und gerade das Arabicum bestanden. Ich wollte Journalist werden, hatte aber bis auf Praktika bei einem Radiosender und einer Lokalzeitung wenig unternommen, um diesem Ziel näherzukommen. Da schien ein Blog eine gute Möglichkeit zu sein, sich auszuprobieren. Seit ich mich durch mein Studium intensiv mit dem Nahen und Mittleren Osten beschäftigte, wuchs meine Unzufriedenheit mit der Berichterstattung über diese Region in den deutschen Medien. Klar, über den Nahostkonflikt wurde seit Jahrzehnten ausführlich berichtet, seit dem sich nach dem 11. September 2001 abzeichnenden Krieg auch über den Irak. „Alsharq“ heißt übrigens nicht der „Hai“ Aber sonst waren viele spannende Länder der arabischen Welt eine große weiße Fläche in der Berichterstattung: Die Erstarrung Ägyptens unter Mubarak, die ganz unterschiedlichen politischen Entwicklungen in den Golfstaaten – all das fand kaum statt. Vom traditionell wenig beachteten Maghreb ganz zu schweigen. Die Unzufriedenheit verstärkte sich noch, als ich mit dem späteren Mitsharqisten Robert Chatterjee Anfang 2005 im Libanon war, wenige Wochen nach dem Mord am früheren Regierungschef Rafik al-Hariri. In den meisten deutschen Medien wurde die darauffolgende Protestbewegung gegen den syrischen Einfluss im Zedernstaat pauschal als prowestlicher, demokratischer Volksaufstand bezeichnet, dem sich nur radikale, verblendete schiitische Hisbollah-Anhänger entgegenstellten. Unser Eindruck vor Ort war ein anderer. Kurzum: Mir schien durchaus Platz zu sein für einen kleinen Nischenblog, in dem eher abseitige Themen rund um den Nahen Osten beleuchtet werden könnten. Zudem erschien mir die Arbeit für die Artikel als eine gute Möglichkeit, mein Arabisch nicht gänzlich einrosten zu lassen. Jetzt fehlte nur noch ein Name. Er sollte Arabisch sein, aber nicht zu kompliziert. Als Erstes fiel mir „Alsharq“ ein. Und siehe da, der Name war noch frei. „Alsharq“ heißt übrigens entgegen anderslautender Gerüchte nicht „der Hai“, sondern „der Osten“ oder „der Orient“. Eine richtige Vision hatten wir am Anfang alle nicht Und dann ging es los: Anfangs veröffentlichte ich zwei bis drei kurze Posts pro Tag. Wenn ich sie heute lese, ist das freundlichste, was mir zu ihnen einfällt: Ich habe mich stilistisch im Laufe der zehn Jahre verbessert. Nach wenigen Wochen kamen meine Kommilitonen Robert Chatterjee und Christoph Dinkelaker hinzu, und wir haben jahrelang den Blog zu dritt betrieben. Ich glaube, eine richtige Vision, was mal daraus werden könnte, hatten wir damals alle nicht. Wir haben einfach geschrieben und veröffentlicht und es schien mir am Anfang undenkbar, dass es uns jemals gelingen würde, an einem Tag mehr als hundert Leser auf unsere Seite zu locken. Ein Schwerpunkt lag in den ersten Jahren auf dem Libanon, besonders als wir drei gemeinsam 2007 für vier Monate für ein Forschungsprojekt in Beirut waren und mehrmals pro Woche von dort Artikel veröffentlichten. Dort entstand auch das Foto mit dem Pferd, das bis zu unserem Relaunch den Header unseres Blogs zierte und noch heute auf unserer Facebook-Seite zu sehen ist. Das war auch die Zeit, in der zum ersten Mal Leser in größerer Zahl unsere Artikel kommentierten. Das „Alsharq-Imperium“ nahm langsam gestalt an Vorher hielten sich die Kommentare in Grenzen. Das war auf der einen Seite gut, weil wir dadurch auch keinen Ärger mit Trolls, Pöblern und anderen Zeitgenossen hatten. Andererseits wünschen wir uns natürlich Feedback auf unsere Artikel. Doch auch heute noch gibt es nur wenige Kommentare bei unseren Beiträgen Irgendwann hatte mal jemand angefangen, Spiegel-Online-Artikel wahllos in die Kommentarspalten zu kopieren, weshalb ich dann in die Seitenleiste den Satz schrieb: „Unser Ziel ist es nicht, Meldungen, die durch spiegel-online oder andere Medien bereits einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden, 1:1 weiter zu verbreiten.“ Ein Jahr später gewannen wir den Publikumspreis bei den von der Deutschen Welle veranstalteten „BOB-Awards“, 2013 waren wir sogar für den renommiertesten Onlinepreis Deutschlands nominiert, den Grimme Online Award. Ich glaube, in Beirut haben Robert, Christoph und ich erstmals von einem „Alsharq-Imperium“ gesponnen, das wir aufziehen wollten, aber so langsam in die Tat umgesetzt wurde das erst, als der geschäftstüchtige Schwabe Simon Welte zu uns stieß. Er kannte die Region und hatte erste Erfahrungen als Reiseveranstalter; gemeinsam entwickelten wir die Idee, dass es besser wäre, wenn unsere Leser sich vor Ort ein Bild von den Ländern machen, anstatt einzig davon zu berichten. Und so veranstalteten wir 2010 die erste Alsharq-Reise in den Libanon. Ich freue mich auf die nächsten zehn Jahre Wirtschaftlich war die Reise ein Fiasko, großen Spaß gemacht hat sie trotzdem. Seither haben wir mit den neuhinzugekommenen Sharqistinnen und Sharqisten Amina, Bodo, Lea, Sören und Tobias viele weitere Reisen organisiert: nach Ägypten, Israel/Palästina, Jordanien und Iran. Hinzu kommen unzählige Seminare, Tagungen, Workshops. Auch das Blog-Team hat sich vergrößert, Johannes und Diana koordinieren aktuell die Artikel-Arbeit. Natürlich ist es eine Plattitüde, trotzdem stimmt der Satz: Wenn mir vor zehn Jahren jemand gesagt hätte, was aus dieser flapsigen Idee wird – seit neuestem sogar ein eingetragener, gemeinnütziger Verein – , ich hätte ihn für verrückt erklärt. Ich freue mich auf die nächsten zehn Jahre und bin gespannt, was bis dahin noch so alles passiert. Ich selbst nehme mir mal wieder vor, mehr für Alsharq zu schreiben. Leider ist meine Zeit dafür jobbedingt knapp bemessen. Denn zehn Jahre später gehöre ich selbst zu den Leuten, die bei Spiegel Online Meldungen „einer breiten Öffentlichkeit zugänglich“ machen.   Alsharq wird zehn Jahre alt und ein eingetragener Verein – das wollen wir feiern! Mit Vorträgen, Workshops und einer großen Party. Save the date: 7. November 2015 in Berlin. Details folgen.