Der aus Westasien und Nordafrika stammende „Raqs Sharqi“, bekannt als „Bauchtanz“, ist in Europa und Nordamerika weit bekannt. Als Symbol von Kolonialfantasien und Exotisierung stellen sich Fragen: Woher stammen diese Stereotype? Wo sind sie heutzutage zu beobachten? Und wie können Tänzer*innen aus der WANA-Region sich den Tanz wieder aneignen?
Er wird in „exotischen“ Shows eingesetzt und als sexy Sportart in vielen Fitnesscentern angeboten – der Bauchtanz. Die meisten Menschen aus dem globalen Norden können sich unter diesem uralten Tanz irgendetwas vorstellen und etwas damit verbinden. Und da beginnt schon ein wesentliches Problem: Mit der weltweiten Popularität des Tanzes, vor allem im globalen Norden, ging eine orientalistische Interpretation einher, die den Tanz in ein Entertainment-Produkt umwandelte. Diese Unterkomplexität wird auch an dem generischen Begriff „Bauchtanz“ deutlich, der eine Bandbreite an unterschiedlichen Tänzen aus Westasien und Nordafrika zusammenfasst.
Wissenschaftler*innen vermuten, der Bauchtanz sei ein jahrtausendealtes traditionelles Kulturgut, dessen genaue Ursprünge noch unklar sind. Der Begriff „Bauchtanz“, der eigentlich „Raqs Sharqi“ (arab. für „Der Tanz des Ostens“) heißt, ist in seiner Bedeutung dabei nicht einmal ganz korrekt, da er mehr Körperteile beansprucht, als der Name vermuten lässt: Er beinhaltet neben dem Bauch auch Bewegung des Oberköpers (Hüften, Becken und Schultern), deren Bewegungen unabhängig vom Rest des Körpers geschehen. Er ist ein Tanz aus unterschiedlichen Regionen und Genres, doch der im Westen bekannteste ist jener aus Ägypten - dort vermuten Wissenschaftler*innen auch die Ursprünge dieser kulturellen Praktik.[1]
Von Kairo nach Hollywood und wieder zurück
Die moderne Version des arabischen Tanzes entwickelte sich im Kairo der 1920er Jahre und erreichte seine Höhepunkte in der Medienlandschaft einmal in den 1930er und einige Zeit später in den -70er Jahren. Das Kairo dieser Epochen wird rückblickend häufig als das „Hollywood der arabischen Welt“ bezeichnet. Viele Filme dieser Zeit enthalten Bauchtanzszenen und so hat der Raqs Sharqi nicht nur in der ägyptischen Filmindustrie und Gesellschaft an Popularität gewonnen. Mitte des 20. Jahrhunderts tauchte der Tanz erstmals in Hollywood-Filmen auf, wie im 1963 erschienenen Klassiker „"Cleopatra“ vom Regisseur Joseph L. Mankiewicz oder im von George Melford 1921 produzierten Film „Der Scheich“.
Der Raqs Sharqi wurde darin als selbst-imaginierter und sexualisierter Brauch dargestellt, der wenig mit der Realität des Tanzes in der arabischen Region zu tun hatte. Regisseure aus Hollywood reproduzierten alte orientalistische Fantasien eines sexualisierten Harems, der aus Bauchtänzerinnen besteht und die Lüste von Männern erfüllt. Dieses Bild kann in vielen von französischen Männern erstellten orientalistischen Gemälden und Texten gefunden werden, die sich den „Orient“ und den „Harem“ fantasievoll ausgemalt haben. Und so hat auch die Filmindustrie stark zum neuen Image der Bauchtänzerin beigetragen, beispielsweise durch die von den Schauspielerinnen getragenen Kostüme.
Ursprünglich variierten die Kostüme in der arabischen Region von Land zu Land. Meistens bestand die Kleidung der Tänzerinnen aus einem weiten, mehrschichtigen Kleid, einem Schal, der fest um die Hüfte gebunden wurde und klimperndem Schmuck. Anfang des 20. Jahrhunderts begannen Filmemacher wie D.W. Griffith damit, die Tänzerinnen in einem sogenannten „"Bedlah“ darzustellen. Das ist die Kombination aus glitzernden BHs und langen Röcken, die heutzutage vielfach mit dem Begriff „Bauchtanz“ assoziiert wird.
Im goldenen Zeitalter des ägyptischen Kinos, das sehr stark von Hollywood beeinflusst wurde, traten auch ägyptische Tänzerinnen und Schauspielerinnen wie Samia Gamal immer häufiger in freizügigen Kostümen auf. Oft wurden die amerikanischen Darstellungen von „Bauchtänzerinnen“ einfach übernommen. Die Filme zeigten fortan Frauen, die tanzten, um einen Adligen oder eine Gruppe von Männern zu verführen. Und so beziehen sich viele der frauenfeindlichen und slut-shamenden Vorurteile in arabischen Ländern, denen zufolge die Bauchtänzer*innen auch Sexarbeiter*innen seien, ausschließlich auf professionelle Tänzerinnen und nicht auf den Tanz an sich, der immer noch zu Hause oder bei Feiern wie Hochzeiten oder Henna-Nächten getanzt wird.
Vom erzkonservativen Nein zum lustvollen Ja
Dabei wurde der Bauchtanz zu Beginn seiner „Entdeckung“ aus kolonialer Perspektive eher mit Ablehnung beobachtet. Vivant Denon, einer der Gelehrten, der Napoleon nach Ägypten begleitete, schrieb in seinem Buch, dass der Raqs Sharqi „lediglich den abstoßenden und obszönen Ausdruck sinnlicher Berauschtheit“ darstelle. Die Tanzwissenschaftlerin Rosina-Fawzia B. Al-Rawi betont in ihrem Buch „Grandmother's Secrets: The Ancient Rituals and Healing Power of Belly Dancing“ zur Geschichte des Raqs Sharqi hingegen, dass „der Westen den Bauchtanz nahm (…) und diesen kurzerhand zum (selbsternannten) Original erklärte.“ Denn obwohl die strikt konservativen Zuschauer erwartungsgemäß schockiert von der Darbietung waren, erwies sich der Tanz doch als so faszinierend, dass er schon nach kurzer Zeit in Kabaretts und Restaurants quer durch die Vereinigten Staaten vorgeführt wurde. Dies ging mit einer Herabwürdigung und Objektifizierung arabischer Frauen einher, die diese Kunstform erlernen wollten. Das Image des Bauchtanzes wurde somit stark sexualisiert und schon fast mit einer Form des Striptease verglichen, was eine traditionelle kulturelle Praxis stark verzerrt darstellte.
Heute kann man nur noch spärlich Bauchtänzerinnen in westlichen Filmproduktionen finden. Die mediale Darstellung arabischer Menschen hat sich vor allem nach 9/11 stark intensiviert und erfüllt ein bestimmtes Muster, das wiederholt sowohl rassistische, als auch sexistische Stereotype reproduziert: Männer werden als gewaltvolle Menschen dargestellt, als Terroristen oder dekadente Ölscheichs. Frauen werden als hilflose und unterdrückte Wesen dargestellt, die es aus den Zwängen ihrer Kultur, Religion und ihrer Männer zu befreien gilt.
Diese altbekannten orientalistischen Stereotype bestimmen heutzutage viel häufiger die Darstellung arabischer Menschen in Hollywood. Es sind Bilder, die von Orientalismus geprägt sind, also von einer Repräsentation Asiens, in diesem Fall Westasiens, in einer stereotypisierten Weise, die aus einer kolonialen Haltung heraus entstand. Diese Haltung hat eine längere Tradition der westlichen Filmindustrie inne, doch war dies nicht immer schon der Fall.
It's Called Cultural Appropriation, Stupid!
Der Bauchtanz als eine nordafrikanische kulturelle Praxis war immer auch wesentliches Objekt einer orientalistischen Bewertung. Die unterschiedlichen Repräsentationen des Bauchtanzes variierten von „ekelhaft“[2] bis hin zur Ausübung des Tanzes durch weiße Frauen, um die Blicke von Männern zu befriedigen.[3] Die Spanne, wie der Bauchtanz gesehen wird, ist breit. In der heutigen Zeit wird er zuhauf im globalen Norden für unterschiedliche Zwecke verwendet. Man spricht hierbei von kultureller Aneignung. Gemeint ist dabei, dass eine privilegierte Gruppe eine kulturelle Praxis von einer rassifizierten, ehemals kolonisierten oder strukturell immer noch unterdrückten oder benachteiligten Kultur adaptiert.
Das Problem von Aneignung ist immer auch das Problem der verzerrten Darstellung eines kulturellen Erbes, vor allem, um Profit daraus zu schlagen. Wenn beispielsweise ein Restaurant in einem westlichen Land ein Event unter dem Namen „1001 Nacht - mit traditionellem Bauchtanz“ und keine Tänzerin engagieren konnten, die offensichtlich Ahnung vom Tanz aus Ägypten, Marokko und dem Libanon hat, dann ist das deshalb problematisch, weil es einen traditionellen kulturellen Zweck entfremdet und kommerzialisiert. Wenn Begriffe wie „traditionell“ oder „authentisch“ für kommerzielle Zwecke benutzt werden, spricht man klassischerweise von kultureller Aneignung.
Zurzeit sind es unterschiedliche Gründe, aus denen im Westen der Tanz ausgeübt wird. Tänzer*innen wollen damit nicht nur unterhalten, sondern auch seine*ihre Fitnessziele erreichen. Somit hat sich der Tanz stark diversifiziert und ist daher nicht nur noch der Tanz aus dem sogenannten Orient. Je mehr der Bauchtanz sich in der westlich-hegemonialen Welt verbreitete und für unterschiedliche Zwecke ausgeübt wurde, desto mehr entfremdete er sich auch von seiner Ursprünglichkeit.
Heutzutage wird der Bauchtanz in Ägypten von Mitgliedern aller sozialen Schichten getanzt und auf Anlässen wie Hochzeiten oder in Nachtclubs auch professionell angeboten. Häufig wird er im geschlossenen Raum von Frauen unter- und füreinander getanzt. Auf öffentlichen Feiern und in Anwesenheit von Männern, so hört man immer wieder von Frauen, herrscht eine andere Dynamik im Raum, die weniger intim erscheint. Auch dass in rein weiblichen Kreisen eine andere Form der Körperlichkeit während des Tanzes vorherrscht – eine stärkere und spielerischere, ist immer wieder zu hören. Auf Hochzeiten kreieren die Tänzer*innen eine eher feierliche, flirtende und professionelle Stimmung, was mit der Anwesenheit von Personen des männlichen Geschlechts und auch von Kindern zusammenhängen könnte.
Ein Versuch der Wiederaneignung und Zurückgewinnung
Und so stellt sich die Frage: Können Araber*innen den Bauchtanz zurückgewinnen und sich wieder aneignen? In vielen arabischen Musikvideos sind immer noch bauchtanzende Frauen zur Befriedigung männlicher Zuschauer zu sehen. Diese Sexualisierung des Tanzes ging mit einer westlichen Interpretation einher, die sich hegemonial als weltweiter "Standard" für die öffentliche Ausübung des Tanzes etablierte: sexy, sportlich und dabei noch exotisch.
Und doch lässt sich ein kleiner Protest und Kampf um die Wiederaneignung des Tanzes erkennen. Noch immer wird der Tanz im privaten Raum aufgeführt und einem vertrauten Publikum dargeboten. Auch auf Hochzeiten und anderen Feierlichkeiten spielen Bauchtänzerinnen eine wesentliche Rolle, die respektiert und anerkannt wird. Schaut man sich beispielsweise den Instagram-Account der Bauchtanzikone Fifi Abdou an, die über zwei Millionen Follower*innen hat, wird schnell deutlich: die ägyptische Künstlerin wird von Menschen aller sozialen Schichten, religiöser Zugehörigkeiten, Geschlechter oder Altersstufen bewundert und respektiert.
Auch in der neueren Musikszene lässt sich ein Interpretationswandel des westlich-hegemonialen Narrativs feststellen. Die libanesische Band Mashrou' Leila lässt in ihrem 2014 erschienenem Musikvideo „Lil Watan“, das zweieinhalb Millionen Mal auf YouTube angesehen wurde, eine Transgender-Frau für knapp vier Minuten in ihrem Video tanzen. Es ist ein ästhetisches Video, nicht sexualisierend, aber auch nicht verhalten. Das scheint auch nicht im Vordergrund zu stehen. Wichtig scheint vielmehr die beeindruckende Technik, die die Frau darbietet. Es ist eine Technik, die Respekt und Anerkennung verdient, da sie nicht jede*r ausüben und anbieten kann. Und genau das gilt es, sich wieder anzueignen.
Fußnoten:
[1] Dox, D. 2006. Dancing Around Orientalism. The Drama Review, 50, S. 53.
[2] V. Denon, Reize in Opperen Neder Egipte Gedurende den Veldtocht van Bonaparte (Amsterdam: Johannes Allart, 1803.
[3] Karayanni, S. (2009). Native Motion and Imperial Emotion: Male Performers of the “Orient” and the Politics of the Imperial Gaze. When Men Dance – Choreographing Masculinities Across Borders. Ed. J. Fisher and A. Shay. New York: Oxford University Press. S. 4.