04.05.2013
Politische Transformation im Jemen: Zwischen Reformen und der Wahrung des Status Quo
Die Altstadt von Jemens Hauptstadt Sanaa - Foto: Juliana Luz
Die Altstadt von Jemens Hauptstadt Sanaa - Foto: Juliana Luz

Der Plan des Golfkooperationsrates für eine friedliche Machtübergabe im Jemen galt lange als „die jemenitische Lösung“, als Sonderweg. Ein Blick in die Details offenbart: Ein nachhaltiger Ausweg aus den politischen Problemen des Landes ist noch lange nicht in Sicht. Ein Gastbeitrag von Alexander Mökesch

Die jemenitische „Revolution“ begann mit dem Traum von demokratischem Wandel. 2011 war es den Bürgern des Jemen nach unzähligen Demonstrationen über Monate hinweg, auch mithilfe des Golfkooperationsrates, gelungen, ihren Langzeitpotentaten Ali Abdullah Salih vom Präsidententhron zu stürzen. Zwei Jahre später ist dieser Traum einer ernüchternden Realpolitik gewichen, dominiert von Misstrauen, Machtkämpfen und Pragmatismus. Das gilt in der Innenpolitik des Landes ebenso wie in der Jemen-Politik der arabischen Golf-Staaten und der USA.

Als der jemenitische Langzeitpräsident Salih, der 33 Jahre lang die Politik des Golfstaats gelenkt hatte, zurücktrat, stand der vom Golfkooperations-Rat (GKR) ausgearbeitete Transformationsplan im Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit. Der 23. November 2011, an dem Salih seine Unterschrift unter den GKR-Plan setzte, könnte als Siegestag der Opposition gelten, da mit Salihs Rücktritt eine der Hauptforderungen der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Opposition erfüllt schien. Ein Blick in die Details des Transitionsplanes trübt diese Freude jedoch erheblich.

Ein Übergangsplan mit Baufehlern?

„Sicherheit“, „Stabilität“, „staatliche Einheit“. Dies sind nicht nur die zentralen Schlagworte des Dokuments, sondern geben zugleich seine politische Stoßrichtung wieder. Überspitzt heißt sie: „Bloß kein politisches Chaos!“. Es mutet dabei fast schon ironisch an, dass der Plan als Stabilisierungsinstrument jedoch genau das erneut auslösen könnte, was er eigentlich verhindern sollte: politische Instabilität.

Faktoren, die erneute, politische Instabilität begünstigen, gibt es viele. So wird die außerparlamentarische Opposition laut GKR nicht in die Übergangsregierung eingebunden. Dabei haben außerparlamentarische Gruppierungen nicht nur den größten Teil der Proteste getragen, sondern sammeln auch all diejenigen Schichten der Gesellschaft, die symptomatisch für die Probleme des Jemens stehen. Vereinfacht lässt sich die außerparlamentarische Opposition in drei Gruppen unterteilen:

Zum einen ist da die Jugendbewegung. Sie umfasst vor allem junge wie ältere Stadtbewohner, die sich durch politischen Wandel eine Besserung der wirtschaftlichen Probleme, allen voran der gravierend hohen Arbeitslosigkeit und des geringen Durchschnittseinkommens, erhoffen.

Die zweite Gruppe bildet „Al-Hirak“ („Die Bewegung“), eine heterogene Sammelorganisation, welche die Interessen der südjemenitischen Bevölkerung in den Mittelpunkt ihrer politischen Forderungen nimmt. Seit der Wiedervereinigung des Nordjemens mit dem Süden 1990, die viele Südjemeniten eher negativ als Angliederung wahrnehmen, fühlt sich die südliche Bevölkerung politisch wie wirtschaftlich marginalisiert. Immer mehr Südjemeniten fordern die politische Trennung vom Norden und die Wiedererrichtung eines unabhängigen Staates Südjemen.

Abschließend gibt es die Houthi-Bewegung, ein nordjemenitischer Clan, der mehrheitlich aus Schiiten besteht. Die Houthi sehen sich ähnlich marginalisiert wie der Süden und fühlen sich durch die anhaltenden verbalen Provokationen sunnitischer Stämme des Nordens bedroht. Als Reaktion auf wiederholte Angriffe von Houthi-Rebellen auf Armeeeinheiten führte die jemenitische Armee bereits mehrere Operationen gegen sie durch.

Die außerparlamentarische Opposition muss vorerst draußen bleiben

Diese Gruppen wurden bisher auf den Nationalen Dialog vertröstet, ein Gesprächs-Forum, das im März 2013 zuerst tagte und unter Beteiligung aller Oppositionsparteien Lösungsansätze für die Probleme des Landes erarbeiten soll. Die heterogenen Parteien der außerparlamentarischen Opposition stehen darin den Akteuren der gegenwärtigen Übergangsregierung gegenüber, die durch die Regime-Partei AVK (Allgemeiner Volkskongress) und der oppositionellen islamistischen Islah-Partei vertreten sind. Zwar ist die Islah-Partei formell in der parlamentarischen Opposition, hat jedoch in der jüngeren Vergangenheit als Koalitionspartner eng mit dem Regime kooperiert. Zusätzlich ist die Islah-Partei personell eng mit dem AVK und dem inneren Führungszirkel um Salih verwoben.

Sowohl dem AVK als auch der Islah-Partei wurden durch den Plan des GKR 50 Prozent (AVK) und 40 Prozent (Islah bzw. von der Islah dominierte parlamentarische Opposition) der Sitze in der Übergangsregierung zugewiesen. Der ehemalige Vizepräsident Hadi wurde per Dekret als Einheitskandidat für die Präsidentenwahl bestimmt und gewann – vermutlich dadurch begünstigt, dass er der einzige Kandidat war.

Salihs politische Hintertür?

Beachtenswert ist, dass Salih zwar formell vom Präsidentenamt zurückgetreten ist, jedoch nach wie vor den AVK als Parteivorsitzender anführt und damit indirekt an der Interimsregierung beteiligt ist. Bestimmungen des Golfkooperationsrates, wie die künftige Position Salihs im jemenitischen Politsystem aussehen sollte, gibt es nicht.

Ob sich Salih tatsächlich aus der jemenitischen Politik zurückziehen oder auch weiterhin direkt oder indirekt Einfluss nehmen wird, bleibt fraglich. Fest steht, dass es ihm möglich wäre. So kam er mit der Unterzeichnung des GKR-Plans einer Verschärfung von UN-Sanktionen zuvor, die ein Einfrieren seines Auslandsvermögens zur Folge gehabt hätten. Ferner erhielt er durch seine Unterschrift rechtliche Immunität vor Strafverfolgung angesichts des gewaltsamen Vorgehens von Sicherheitskräften gegen unbewaffnete Demonstranten.

Unwahrscheinlich ist außerdem, dass die Interimsregierung oder deren Nachfolgerin die engen Patronage-Beziehungen zwischen der Regierung, den tribalen Gruppierungen und dem Militär lösen kann. Als Garant politischer und militärischer Macht sind diese Klientelverbindungen für die jemenitische Politik von jeher essentiell. Denn für das jemenitische Politsystem gilt: Macht hat der, der über den Zuspruch der Stämme verfügt.

Keine klaren Aussagen im GKR-Plan

Der Kampf um Macht innerhalb eines sich wandelnden Systems ist im Jemen zurzeit allgegenwärtig. Damit auch eine allgemeine Kultur des Misstrauens. Der GKR-Plan hätte durch detaillierte Aussagen – etwa über den künftigen Einfluss von Salih – die gegenwärtigen Probleme zwar nicht lösen, deren Verhandlungen jedoch entspannen und richtungweisende Ideen aufzeigen können. Aber Ungenauigkeiten wie die im Fall Salih sind symptomatisch für den GKR-Plan. Ob der GKR-Plan bewusst ungenau formuliert wurde, um das jemenitische Herrschaftssystem nicht grundlegend zu destabilisieren, wird weithin spekuliert. Die wahren Veränderungen wird schließlich der Rahmen des Nationalen Dialogs beschließen.

Politischer Pragmatismus?

Die Demonstranten der außerparlamentarischen Opposition haben eine andere Erklärung für die vagen Formulierungen des GKR. Ihnen zufolge soll der Transformationsplan vor allem den politischen Status Quo erhalten. Ein Status Quo, der zwar auf Salih als Präsidenten verzichtet, dafür jedoch das bekannte und kaum veränderte Herrschaftssystem, einschließlich der Patronage, beibehält.

Den Vorwurf des Reaktionismus richtet die außerparlamentarische Opposition auch gegen die Regierung in Washington. In ihren Augen ist die Jemen-Politik der USA vorrangig durch die Bekämpfung der „Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel“ bestimmt. Für ihren anti-Terror-Kampf brauche Washington in der jemenitischen Regierung verlässliche, bekannte und fähige Partner.

Der GKR-Plan sieht den Nationalen Dialog als zentrales Lösungsorgan für den politischen Knoten des Jemens vor. Die im Dialog vertretenen Parteien jedoch gelten als außerordentlich heterogen und zerstritten. Im Raum stehen Maximalforderungen einzelner Gruppen, wie die Unabhängigkeit des Südjemens. Die Hauptaufgabe der Dialogpartner besteht zunächst darin, die eingebrachten Forderungen konsens- und lösungsorientiert zu entschärfen. Ob das innerhalb des gesetzten Zeitrahmens von sechs Monaten machbar ist, ist zu bezweifeln.

Der Nationale Dialog als politischer Gradmesser

Sollte der Nationale Dialog es nicht schafft, stabilitätsrelevante Fragestellungen zu lösen, könnte das entstehende Patt die vorübergehenden stabilisierenden Qualitäten des GKR-Plans untergraben. Sowohl die Durchführung des Dialogs als auch dessen mögliche Ergebnisse können als Gradmesser der politischen Entwicklung im Jemen gelten. Das Ziel dieser Entwicklung ist noch nicht abzusehen, die Hürden für einen stabilen Jemen aber sind allzu offensichtlich.

Fest steht, eine politische Transformation bedarf mehr als einer Auswechslung des Präsidenten und einiger hoher Militärs. Und ein politischer Transformationsprozesses darf nicht behandelt werden, als führe er automatisch hin zu Demokratie, Pluralismus und Stabilität.

Zu sagen, dass für viele Demonstranten der Traum von nachhaltigen politischen Reformen ausgeträumt sei, ist jedoch verfrüht. Der GKR-Plan hat die Politik im Jemen vorübergehend entschärft. Nun ist es an den Beteiligten des Nationalen Dialogs, dieses Forum konstruktiv zu nutzen und miteinander anstatt nur übereinander zu reden. Der Traum der Opposition geht in die zweite Runde.

 

Alexander Möckesch ist 26 Jahre alt und studiert am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien der Philipps-Universität Marburg den Master-Studiengang „Politik und Wirtschaft des Nahen und Mittleren Ostens“.

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