15.02.2019
Frieden und Feminismus sind leere Worte in Afghanistan

Aktuell verhandeln die USA und Russland in Abwesenheit des afghanischen Präsidenten den Frieden und die Zukunft des Landes mit Vertretern der Taliban. Unsere Kolumnistin Moshtari Hilal beobachtet die ganze Angelegenheit mit größter Skepsis. Ein Blick in die Vergangenheit verrät, dass hier dieselben Akteure am Steuer sind, die einst das Schiff zum Sinken brachten.

Dieser Text ist Teil der Alsharq-Kolumne „Des:orientierungen“. Alle Texte der Kolumne findet Ihr hier.

Ende Januar teilte der US-Sonderbeauftragte Zalmay Khalilzad für Afghanistan das Ergebnis der sechstägigen Gespräche mit den Taliban-Vertretern in Katar mit. Man habe bedeutende Fortschritte in den Friedensverhandlungen mit den Aufständischen erzielt. Nun stehe der mögliche Truppenabzug der USA aus Afghanistan in Aussicht.

Einige Tage darauf trafen sich Vertreter der Taliban und politische Gegner des Präsidenten Ashraf Ghani mit Russland, auch bei diesem Treffen war der Präsident selbst nicht beteiligt. Stattdessen sorgt sich dieser im Abseits über die Dynamik der Treffen.

Nun, kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Sommer 2019 scheinen die Friedensverhandlungen mit den Taliban besonders destabilisierend und untergraben das bisschen Souveränität, das dem fragilen Staat geblieben ist. Ist es daher nicht naheliegend, bei dieser Ménage à trois (Russland-USA-Taliban) an den Kalten Krieg zu denken? Auf die Akteure in Afghanistan, ihre Rhetoriken und Strategien der letzten 17 Jahre zurückblickend, lässt sich tatsächlich eine unleugbare Kontinuität erkennen.

Rhetoriken: Fallbeispiel – Freiheit und Feminismus im War On Terror

Während noch zu Beginn des Jahres 2001 kaum einer in Deutschland von dem Konflikt in Afghanistan gehört hatte, erinnere ich die mediale Allgegenwärtigkeit des Konflikts ab dem 11. September. Dieser Wechsel vom internationalen Wegsehen, zum medialen Voyeurismus und Aufruf zum militärischen Handeln war so abrupt wie strategisch.

Ich war mit den Geschichten von Missbrauch, Mord und Horror aufgewachsen, vor denen auch meine eigene Familie Anfang der 1990er-Jahre aus Afghanistan geflüchtet war. Einige dieser Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung wurden von Akteuren begangen, die nachweislich von den USA finanziert wurden, und das noch vor dem Taliban-Regime.

Die Forschung liefert mittlerweile eine detaillierte Analyse der Zusammenhänge vom War On Terror, dem Menschenrechtsdiskurs, liberalen Feminismen und neoimperialen Interessen. Wendy Kozol etwa beschreibt in ihrem Artikel ‘Visual Witnessing and Women’s Human Rights’, wie die mediale Darstellung von afghanischen Frauen in Verbindung zur öffentlichen Wahrnehmung der militärischen Intervention in Afghanistan steht.

Wenn die Anwendung von Gewalt legitimiert werden soll, werden afghanische Frauen als besonders unterdrückt dargestellt. Und wenn der Erfolg der Intervention demonstriert werden soll, zieren die Titelbilder und Buchcover Frauen im Moment der Entschleierung oder in Führungsrollen, etwa als Polizistin oder Abgeordnete.

Collage “War On Terror” - Moshtari Hilal. Unsere Kolumnistin hat in der Recherche zu diesem Beitrag Collagen aus dem visuellen Material in den Medien erstellt, um die Überschneidungen der beschriebenen Diskurse, Personen und Ereignisse zu verdeutlichen.

Die einfältige aber dominante Inszenierung der Frauen als Opfer legitimierte bereits 2001 erfolgreich den Einzug fremder Truppen in Afghanistan, die bis heute stationiert sind. Dabei wurde von der internationalen Öffentlichkeit kaum hinterfragt, zu welchem Preis die USA die Emanzipation der afghanischen Frau propagieren.

Anstatt die Lebensumstände der Frauen nachhaltig zu verbessern, besetzten die USA und seine Verbündete ihr Land, bombardierten ihren Wohnraum, folterten ihr Söhne, Väter, Ehemänner und Verwandten in Guantanamo. All das im Namen der Freiheit.

Kein Wunder also, dass ich bei dem Stichwort Friedensverhandlungen mit Russland und den USA stutzen muss; waren es nicht eben diese Staaten, die, neben anderen, die Zerstörung und die folgende militärische und finanzielle Abhängigkeit Afghanistans von imperialen Staaten unter ähnlichen Vorwänden vorangetrieben haben: Fortschritt, Modernisierung, Befreiung und jetzt wieder Frieden?

Akteure: Fallbeispiel – Khalilzad – gesandt wofür?

Zalmay Khalilzad, der Sonderbeauftragte der USA in den Friedensverhandlungen mit den Taliban, verkörpert die Kontinuität der geopolitischen Interessen an Afghanistan, seit den Anfängen des Kalten Kriegs bis heute. Daher bedarf seine Person einer näheren Betrachtung: Wer ist dieser Mann? Khalilzad, selbst aus Afghanistan stammend, verhandelt seit fast vier Jahrzehnten in der Region.

Mal tritt er als Berater der Ölgesellschaft Unocal auf, mal als kultureller Vermittler der Republikaner in Gesprächen mit afghanischen Rebellen und zeitweilig (2003-05) sogar als UN-Botschafter bevor er im Irak US-Interessen vertritt. Der Titel seiner 2016 erschienen Autobiografie ‘The Envoy’ – der Gesandte oder Bote – klingt nicht zufällig missionarisch. Der Mann, der einst nach 9/11 die Demokratie nach Afghanistan bringen sollte, wurde jetzt, 17 Jahre danach, von US-Außenminister Mike Pompeo beauftragt, den Frieden zu stiften.

Khalilzads biografische Verstrickung mit den neo-imperialen und rechtskonservativen Akteuren der US-Amerikanischen Politik sind leicht nachzuverfolgen und zudem heroisch inszeniert als Genealogie seiner Professionalität und Vertrauenswürdigkeit in Angelegenheiten der globalen Sicherheit.

Hinter vorgehaltener Hand gilt Khalilzad als ein entscheidender Strippenzieher der afghanischen Innenpolitik, schließlich hatte er Ende 2001 die Übergangsregierung mitgestaltet und 2003 die afghanische Verfassung mit beeinflusst. Aktuell verhandelt er auch noch an Stelle der afghanischen Regierung die Zukunft des Landes mit den Taliban, trotz seines alarmierenden Lebenslaufs, welcher destruktive Auswirkungen für die Menschen in der Region hatte.

Die Ehe von Frieden und Feminismus Anfang der 2000er

Khalilzads Ehefrau Cheryl Benard ist Analystin am Center for Middle East Public Policy der RAND Corporation, einem amerikanischen Think Tank, der unter anderem für das US-Militär forscht und weitere Regierungen, internationale Organisationen, private Konzerne und Stiftungen berät. Zuvor hatte sie als Vorsitzende der NGO ARCH Internationale in den Bereichen der Flucht, Frauen- und Entwicklungsarbeit, sowie der Radikalisierungsprävention gearbeitet.

Interessanterweise stehen ihre Arbeitsfelder in direkter Verbindung mit den militärischen Interventionen, die der Arbeitgeber ihres Ehemanns verantwortet. Im Jahre 2002 während der Bush-Administration, schrieb sie die Forschungsarbeit Veiled Courage: Inside the Afghan Women’s Resistance. Hier stellt sie die militärische Intervention in Afghanistan als ,,Fallstudie (…) für das sehr erfolgreiche Lobbying durch und für Frauen”, also im Interesse von Frauen dar (2002:10).

Weiter heißt es: “Afghanistan ist der obskure Ort, an dem die Frauen dieser Welt ihren Feinden endlich eine Entscheidungsschlacht lieferten – und siegten” (2002:216). Somit war Afghanistan nicht nur ein Schlachtfeld für den neoliberalen Kapitalismus und gegen den sowjetischen Sozialismus, sondern auch der von neoliberalen Frauen und ihrer Selbstbehauptung als führende Akteurinnen einer angeblich globalen Bewegung.

 

Collage ,,Die Ehe von Frieden und Feminismus” - Moshtari Hilal. Benard schrieb zum Beispiel 1984 parallel zur Reagan Administration am Sammelband Sisterhood Is Global - The International Women’s Movement Anthology mit. Im Jahre 2002 während Bush Präsident war, schrieb sie an der Forschungsarbeit Veiled Courage - Inside the Afghan Women’s Resistance.

Die Counterinsurgency-Doktrin des US-Militärs, basierend auf Praktiken der Kolonialzeit, interessiert sich explizit für die Bevölkerung und insbesondere Frauen, um ihre Operationen noch zielgerichteter und effizienter umzusetzen und eine zivilgesellschaftliche Widerstandsbewegung gegen die fremde Besatzungsmacht zu verhindern.

Counterinsurgency (Aufstandsbekämpfung) soll bei der militärischen Unterscheidung von Freund von Feind verhelfen – in einem Krieg ohne klaren Gegner bzw. bei einer Besatzung, die potentiell von allen abgelehnt wird. Der Teil der Zivilgesellschaft, welcher mit der Besatzungsmacht zusammenarbeitet, wird beschützt und jene, die sich aktiv widersetzen, werden bekämpft.

Hierbei ist ein Akteur wie Khalilzad als der kulturelle Informant des imperialen Staat zu verstehen. Dieser gewinnt das Vertrauen der afghanischen Bevölkerung durch seine Kenntnis der lokalen Sprache und Bräuche und verscherbelt dann ohne großen Widerstand ihre Ressourcen und Wiederaufbau-Verträge an internationale Konzerne, während er die realpolitische Abhängigkeit des lokalen Staats von der fremden Besatzung konsolidiert.

Benard, auf der anderen Seite, ist das, was man im Fachterminus eine Vertreterin der gendered counterinsurgency nennt. Das bedeutet, ihre Arbeit verleiht den geopolitischen Interessen und militärischen Operationen in der Region den Anschein einer entwicklungspolitischen Hilfestellung mit dem vorrangigen Interesse an der Zivilbevölkerung und Frauenrechten.

Leere Versprechungen?

Vor allem jetzt, da die USA mit den Taliban den Frieden verhandeln, die sie ursprünglich selbst ausbilden und bewaffnen ließen, um sie dann wieder zu bekämpfen und bombardieren, ist es umso verwirrender, wer Freund ist und wer Feind.

Offiziell werden Al-Qaida und die afghanischen IS-Zellen im Land gefürchtet, während die Taliban als potentielle Verbündete der Friedensgespräche aufgrund ihrer nationalistischen Agenda gehandelt werden. Dabei geht die größte Gefahr für die Stabilität des Landes von den Akteuren am Verhandlungstisch selbst aus.

So finden laut dem freien Afghanistan Korrespondenten Emran Feroz die meisten Kampfhandlungen zwischen den Taliban-Kämpfern und den afghanischen Soldaten statt. Doch auch das US-Militär selbst trägt mit dem Abwurf von 5.000 Bomben in Afghanistan allein im letzten Jahr zur nachhaltigen Zerstörung des Landes und seiner Umwelt bei.

Selbst wenn die Taliban politisch integriert werden, gar eine neue Regierung mit gestalten, gibt es keine Garantie, dass die anderen afghanischen Milizen, teilweise auch von den Amerikanern gegründet oder finanziert, die Waffen niederlegen. Damit sind die aktuellen Friedensverhandlungen in Afghanistan mit größter Skepsis zu betrachten. In Katar und Moskau wird der Frieden verhandelt? Wer’s glaubt, wird selig.

 

Moshtari Hilal ist freischaffende Künstlerin in Hamburg und Berlin.
Redigiert von Marlene Pick, Daniel Walter