Mina Jawad sieht Grundrechte in Deutschland bedroht: Ob durch abgesagte Ausstellungen oder die Auswirkungen politischer Dynamiken auf künstlerische und journalistische Integrität.
Wenn die Linien zwischen Meinungsfreiheit und Selbstzensur zu verschwimmen drohen, ist jeder Griff zur Feder ein Balanceakt. Wenn ich auch nur den Eindruck habe, auf Eierschalen herumlaufen zu müssen, verweigert sich mir meine Feder. Meine Motivation streikt, wenn ich aktiv übergehen soll, was mich bewegt und zum Ausdruck drängt. Was, wenn die Kraft der Feder sich aus der Motivation speist, für Wahrheit und Gerechtigkeit einzustehen – um Ebenen zu beleuchten, die oft unsichtbar bleiben?
Umso mehr hat es mir die Motivation geraubt, als mir für eine intensive Recherche zu abgesagten Kunstausstellungen und beendeten Engagements in Folge der Eskalation in Palästina und Israel, Zusagen für Interviews und Expert:inneneinschätzungen entzogen wurden. Teils stillschweigend, teils kleinlaut. Mit dem Material
In meiner geplanten Arbeit ging es nicht um die Lage in Gaza. Es ging um die Beleuchtung deutscher Perspektiven und Leerstellen in deutschen Diskursen. Um abgesagte Kunstausstellungen, etwa die Fotoserie des Berliner Fotografen Raphaël Malik, welche weder zeitlich noch örtlich etwas mit der Lage in Gaza zu tun hat. Trotzdem lautete die Begründung:
Von Almanya bis Afghanistan
Ein exilierter afghanischer Journalist konfrontierte mich vor einiger Zeit mit einer direkten und entlarvenden Frage angesichts der einseitigen und tendenziösen Berichterstattung zur Lage in Gaza in Deutschland: „Wo bleibt eure Pressefreiheit?“ Bis heute habe ich keine Antwort darauf gefunden. Obwohl mein journalistischer Fokus bisher auf Afghanistan lag, kann ich die Verbindung zwischen der Situation dort und der in Palästina nicht ignorieren. Es scheint, als wäre selbst eine kohärente und kritische Berichterstattung zu Afghanistan und Diaspora in Deutschland nicht mehr vor Sanktionen gefeit, wie der Fall der „Rahmanis“ zeigt:
Mit rechtlichen Konsequenzen müssen offenbar auch Journalist:innen rechnen, die über den mit Korruptionsvorwürfen konfrontierten Investor Haji Ajmal Rahmani berichten. Die Kontrollbehörde OFAC des Finanzministeriums der Vereinigten Staaten setzte im Dezember 2023 Ajmal Rahmani und seinen Vater Mir Rahman Rahmani auf die Sanktionsliste. Den als „Rahmanis“ bekannten Geschäftsleuten wird nach Angaben der US-Behörden Bestechung, Wettbewerbsbetrug und Steuerhinterziehung vorgeworfen. Als Vertragspartner der US-Streitkräfte in Afghanistan sollen die Rahmanis unter anderem überhöhte Treibstoffpreise verlangt und Bestechungsgelder gezahlt haben. Seit dem Bekanntwerden der Vorwürfe liegen die Investitionsprojekte in Deutschland auf Eis. Nach Angaben des Hessischen Rundfunks ermittelt die Staatsanwaltschaft Stuttgart wegen des Verdachts auf Geldwäsche gegen die Rahmanis. Über ihre Anwälte weisen die Rahmanis die Vorwürfe zurück.
Dabei sind die Vorwürfe gegen die
Auch im Taliban-regierten Afghanistan sind die Rahmanis immer noch Thema. Der ehemalige Parlamentarier Ramazan Bashardost, einer der wenigen Akteure der afghanischen Republik, die im Land geblieben sind, und bekannt für seine unerbittliche Kritik an der Korruption, äußerte
Art of State, State of the Art?
Gegen die Korruptionsvorwürfe wehren sich die Rahmanis sowohl in den Vereinigten Staaten
Zweifellos ist die im Rechtsstaat verankerte Unschuldsvermutung ein hohes Gut, und die kritische Betrachtung extraterritorialer Sanktionen ist mehr als notwendig. Geschenkt. Doch wirft die Tatsache, dass die Rahmanis ausgerechnet von der Kanzlei Höcker vertreten werden, Fragen auf. Diese Kanzlei zählt nicht nur den umstrittenen Politiker Hans-Georg Maaßen zu ihren ehemaligen Mitarbeitern, sondern hat auch Mandate vom türkischen Präsidenten Erdoğan von der AfD – ausgerechnet im Verfahren gegen das Bundesamt für Verfassungsschutz – übernommen. Obgleich diese Mandate rechtlich unbedenklich sein mögen, ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet Rechtsanwalt Ralf Höcker, Mitglied der WerteUnion, dafür bekannt ist, gegen Journalist:innen vorzugehen. Dieser Umstand scheint mir symptomatisch für den dystopischen Dauerzustand seit Oktober 2023 zu sein.
In einem Land, das gern mit dem Finger auf andere zeigt und sie zur Einhaltung von Grundrechten, Kunst-, Wissenschafts-, Meinungs- und Pressefreiheit auffordert, scheint die Selbstreflexion zu kurz zu kommen. Als stecke der Kopf im Sand. Deutschland steht hier im Zwielicht, da offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen wird. In einem von Verunsicherung geprägten gesellschaftlichen Klima sehe ich das Vorgehen gegen kritische Journalist:innen als Teil eines größeren Phänomens, das wir seit Monaten in der Kunst und Wissenschaft beobachten: Ein Klima existenzieller Ängste, der Kriminalisierung, des Duckmäusertums und vorauseilenden Gehorsams.
Diese Doppelmoral erstreckt sich auch auf den Umgang mit Afghan:innen. In einem Land, in dem afghanische Männer oft kollektiv in rechtsgerichteten, salonfähigen Diskursen als delinquent und aggressiv gebrandmarkt und als unerwünscht betrachtet werden. In einem Land, in dem Afghan:innen Zuflucht suchen, weil sie kollektiv im Rahmen des „War on Terror“ zur Rechenschaft gezogen wurden, vor Drohnenangriffen und dem Schrecken der Taliban geflohen sind und sich dem Chauvinismus der Elite entziehen mussten, scheinen mutmaßlich korrupte Akteure in Deutschland als Investoren willkommen zu sein.
Im Völkerrecht herrscht
Mehr Arbeiten der Illustratorin Zaide Kutay finden sich auf ihrem Instagram-Account.